Entscheid Einzelrichter Bezirksgericht Horgen vom 4. Februar 1988

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Nicht amtliche Leitsätze: Werkeigenschaft und urheberrechtlicher Schutz eines mit einem Computer ausgelieferten Computerhandbuches (Erwägungen 3.a) und 4). Sachverhaltsirrtum über dessen urheberrechtlichen Schutz im Strafverfahren (Erwägung 4.b); Einziehung und Vernichtung der Handbücher bei Sachverhaltsirrtum (Erwägung III)?

Zusammenfassung des Sachverhaltes: X verkaufte „Kompakt-Computer“. Zusammen mit diesen wurden dem Käufer auch ein Benutzerhandbuch übergeben. Dieses hatte X ohne Einwilligung der Berechtigten nachdrucken lassen. Die X GmbH stellte darauf Strafantrag. X war vom Statthalteramt Horgen wegen Verletzung von Art. 42 Ziffer 1 lit.b aURG bestraft worden.

Erwägungen:

I.1. Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag ein (Art. 47 Abs. 1 URG). Den Strafantrag kann jeder stellen, der durch die zu verfolgende Handlung oder Unterlassung verletzt worden ist (Art. 47 Abs. 2 URG). Er besteht in der Willenserklärung des Verletzten, dass für die angezeigte Handlung die Strafverfolgung stattfinden soll (BGE 85 IV 75 mit Hinweisen). Die entsprechenden Strafanträge des Verletzten bilden mithin den Massstab der Strafverfolgung (W. Huber, Die allgemeinen Regeln über den Strafantrag im schweizerischen Recht [StGB 28 – 31], in: Zürcher Beiträge zur Rechtswissenschaft, Heft 274, S. 38). Als Verletzter kommt einzig der Träger des unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes in Betracht (BGE 92 IV 2). Das Urheberrecht kann nur durch natürliche Personen originär erworben werden (BGE 74 II 106ff.; vgl. Art. 8 URG). Der derivative Erwerb ist hingegen hinsichtlich der Nutzungsrechte auch für juristische Personen möglich (Art. 9 URG). Persönlichkeitsrechtliche Befugnisse können nicht übertragen werden, wohl aber kommt eine Überlassung zur Wahrnehmung – auch an juristische Personen – in Betracht (Rehbinder, Urheberrecht, 2.A., Zürich 1986, Rdn.198). Gemäss Art. 8 Abs. 1 URG besteht die widerlegbare gesetzliche Vermutung der Urheberschaft für diejenigen natürlichen Personen. deren Name als Urheberbezeichnung auf den Werkexemplaren erscheint oder die bei der Wiedergabe des Werkes genannt werden. Fehlt es an einer solchen Angabe, so stellt Art. 8 Abs. 2 URG die Vermutung der Rechtsnachfolge des Verlegers oder Herausgebers auf, sofern ein solcher angegeben ist.
Vorliegendenfalls ist die X GmbH auf der Rückseite des Werktitelblattes mit dem besonderen Hinweis auf das T3100 Benutzerhandbuch vermerkt. Es besteht die Vermutung ihrer Rechtsnachfolge. Der Gegenbeweis wird vom Verzeigten nicht geführt. Demnach hat die X GmbH im Rahmen dieses Verfahrens als Berechtigte im Sinne von Art. 12 URG zu gelten, weshalb sie zur Stellung des Strafantrages legitimiert ist. Die Frist ist gewahrt.

2. (…) Der Verzeigte ist geständig und durch die Untersuchung überführt, dass er T3100 Benutzerhandbücher bei einer Offset-Druckerei hat herstellen lassen und diese dann mit den Geräten den Käufern lieferte. Mithin ist davon auszugehen, dass der Verzeigte diese Handbücher wiedergegeben und in Verkehr gebracht hat. Inwieweit es sich vorliegendenfalls um Werke im Sinne des Urheberrechtsgesetzes handelt – was der Angeklagte bestreitet – wird nachfolgend im Rahmen der rechtlichen Würdigung zu prüfen sein.

3. Gemäss Art. 42 Ziff. 1 lit.b URG ist zivil- und strafrechtlich verfolgbar, wer unter Verletzung des Urheberrechtes Exemplare eines Werkes verkauft, feilhält oder sonst in Verkehr bringt.

a) In objektiver Hinsicht verlangt dieser Tatbestand, dass der Verzeigte Werkexemplare verkauft, feilhält oder sonst in Verkehr bringt. Es ist erwiesen und unbestritten, dass solches durch den Verzeigten erfolgte. Überdies setzt der objektive Tatbestand voraus, dass unter Verletzung des Urheberrechts gehandelt wurde. Diesbezüglich bestreitet der Verzeigte nun die rechtliche Würdigung des Statthalteramtes. Er macht geltend – unter Hinweis auf einen Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 18. Juli 1984 -, dass es sich beim vorliegenden T3100 Benutzerhandbuch nicht um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handle. Die Weiterverwendung und Verbreitung sei deshalb frei.
Werke im Sinne des Urheberrechts sind Geistesschöpfungen von individuellem Gepräge. Der urheberrechtliche Schutz setzt damit einen geistigen Inhalt voraus, der schöpferisch in bestimmter Form zum Ausdruck gelangt, wobei das Ergebnis durch Inhalt und/oder Form ein individuelles Gepräge aufweisen muss (vgl. BGE 106 II 73, 101 II 105 mit Hinweisen). Allgemeingültige Kriterien für das Vorliegen von Individualität sind nicht ersichtlich. Ein neuster Entscheid fasst die Kriterien des Bundesgerichts im Einzelfall zusammen (BGE 110 IV 102ff.). Die Tatsache, dass das Werk aus dem Geiste des Urhebers stammt, genügt nicht, um ihm den gesetzlichen Schutz als Werk im Sinne des Urheberrechtes zu vermitteln. Schutzwürdiges Werk ist das Geisteswerk nur, wenn es den Stempel einer originellen und von der Individualität des Urhebers geprägten schöpferischen Tätigkeit trägt (BGE 105 II 299; A. Troller, Immaterialgüterrecht, Bd.l, S.351f., 363f.; Voyame, Droit d’auteur, S.11). Im Geiste des Urhebers entstandene Schöpfungen, die zwar von ihm nicht Bekanntem entnommen sind, die aber dem Bekannten so nahe stehen, dass auch ein anderer die gleiche Form schaffen könnte, ermangeln der Originalität und Individualität. Die Individualität des Werkes hängt entsprechend vom Verhältnis der im Geiste des Urhebers geschaffenen zu dem aus dem Gemeingut entnommenen Elementen ab ( Troller, a.a.O., S. 362, 373). Handwerkliche Leistungen, die lediglich bekannte Formen oder Linien verbinden oder abwandeln, erhalten keinen Urheberrechtsschutz (BGE 106 II 73). Anderseits sind der ästhetische Wert und die Bedeutung des Werkes nicht zu berücksichtigen (BGE 75 II 360), und es sind auch an die Originalität keine hohen Anforderungen zu stellen. Insgesamt ist aber doch ein höherer Grad an Individualität oder Originalität und eigenpersönlicher Prägung zu verlangen als beim Muster und Modell (BGE 106 II 73, 172; vgl. auch BGE 104 II 329).
Das URG unterscheidet in Art. 1 – 4 verschiedene Typen schutzfähiger Werke: Werke der Literatur und der Kunst, Werke der Photographie, Sammlungen und Bearbeitungen. Art. 1 Abs. 2 URG teilt sodann die Werke der Literatur und der Kunst in drei Bereiche ein, nämlich in literarische Werke, in musikalische Werke und in Werke der bildenden Kunst. Unter literarischen Werken sind Sprachwerke zu verstehen, d. h. neben schöngeistiger und wissenschaftlicher Literatur auch Schriftwerke für das praktische Leben. Liegt ein selbständiges sprachliches Gepräge vor, können auch Kataloge, Gebrauchsanweisungen, Kochbücher, Adressbücher, Formulare, Rechentabellen und Wörterbücher geschützt sein (Rehbinder, a.a.O., Rdn. 54f.). Zudem kann bei wissenschaftlichen Werken die schöpferische Leistung bereits in der inneren Form – d. h. Sammeln, Einteilen, Anordnen des Stoffes – liegen, auf die sprachliche Gestaltung kommt es dann nicht mehr an (Rehbinder, a.a.O., Rdn.56). Massgebend ist demnach, ob die konkrete Darstellung des Gedankens individuelle Züge aufweist – was selbst bei einem nichtssagenden Einfall möglich ist (vgl. BGE 88 IV 129). Dem Verfasser eines Sachbuches – insbesondere eines wissenschaftlichen Werkes – sind in der individuellen Sprachgestaltung viel engere Grenzen gezogen als beispielsweise einem Dichter oder Romanschriftsteller, weil er sich an bestimmte Sachverhalte und namentlich an Fachausdrücke zu halten hat, wenn er ernstgenommen und verstanden werden will. Aber selbst dann ist es durchaus möglich, dass ein und derselbe Gedanke auf verschiedene Weise zum Ausdruck gebracht werden kann, ohne dass die Sprachgebilde deswegen literarisch gleichwertig zu sein brauchen (BGE 88 IV 129). Das literarische Werk muss sich von reiner Schablonenarbeit abheben, damit individuellem Schaffen entspringen und in seiner Zusammenstellung originell sein. Mit anderen Worten genügt es, wenn sich das Ergebnis des Schaffens nicht zwangsläufig aus der Sache selbst ergibt (vgl. BGE 88 IV 13 l).

Das vorliegende T3100 Benutzerhandbuch erfüllt in verschiedener Hinsicht die oben dargestellten bundesgerichtlichen Anforderungen. So enthalten seine Kapitel 4 – 6 Abschnitte, die durchaus einem Lehrgang zum DOS Betriebssystem nahekommen. Von reiner Schablonenarbeit kann hier nicht mehr gesprochen werden. Die Benutzung des Computers wird sodann mittels eines sogenannten Flussdiagrammes dargestellt: die individuelle Prägung kann nicht von der Hand gewiesen werden und ist überdies für Branchenkenner nicht ohne Witz. Das vorliegende Handbuch enthält im einzelnen eine Vielzahl von bildlichen Wiedergaben. Inwieweit solche technische Zeichnungen als solche generell geschützt sind, ist in der Lehre umstritten (vgl. u.a. Kummer, Das urheberrechtlich schützbare Werk, Bern 1968, S. 126; Troller/Troller, Kurzlehrbuch des Immaterialgüterrechts, 2. A., S. 82). Auf jeden Fall ist der Ansicht Kummers insoweit beizupflichten, als völlige sklavische Wiedergabe technischer Zeichnungen auf photomechanischem Wege unzulässig ist (vgl. Kummer, a.a.O., S 124, 129). Die ganze Gliederung des Handbuches ergibt sich sodann nicht zwangsläufig aus der Sache selbst. Es ist beispielsweise keineswegs zwingend, dass die Zusatzeinrichtungen und die technischen Hinweise erst unter Punkt 7 erscheinen. Überdies sind ein Sachregister, ein Inhalts- und Abbildungsverzeichnis enthalten, die für sich allein schon urheberrechtlichen Schutz geniessen können (Troller/ Troller, a.a.O., S. 79f.). Schliesslich weist das vorliegende Handbuch zahlreiche Hinweise auf, die durch den persönlichen Stil des Verfassers geprägt sind, mithin sowohl sprachlich als auch inhaltlich individuell erscheinen. Anzuführen wären beispielsweise die Wendungen: «Schreiben Sie alle Meldungen, die am Bildschirm angezeigt werden, auf», «. . . Verpackungsmaterial und lagern sie es für einen eventuellen späteren Transport des Systems» oder «Damit steht der Kompakt-Computer mit einer zum Arbeiten angenehmen Neigung». Dabei ist zu beachten, dass die bundesgerichtliche Praxis – wie vorne dargelegt – in solchen Fällen an den sprachlichen Ausdruck keine grossen Anforderungen stellt. Auf Grund all dieser Anhaltspunkte muss das vorliegende T3100 Benutzerhandbuch als Geistesschöpfung von individuellem Gepräge – als literarisches Werk im Sinne des URG – qualifiziert werden, mithin geniesst es den urheberrechtlichen Schutz.
Der vom Verzeigten angeführte Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 18. Juli 1984 ändert an dieser Qualifikation nichts. Einem Entscheid in einem anderen Verfahren, dessen Sachverhalt nicht völlig identisch mit dem vorliegenden und überdies auch nicht umfassend bekannt ist, kommt nur eine beschränkte Bedeutung zu, er kann somit nicht unbesehen auf den vorliegenden Sachverhalt angewendet werden. Zudem kann der Begründung des Obergerichts – mindestens in der gewählten Formulierung – in zweierlei Hinsicht nicht gefolgt werden. In bezug auf den urheberrechtlichen Schutz einer Bedienungsanleitung führte das Obergericht aus, dass es sich dabei um einen Gegenstand zum Gebrauch handle, der zumindest die Bedienung komplexer photographischer Produkte – konkret ging es um die Bedienungsanleitung einer Photokamera – ermögliche oder erleichtere; Gegenstände im Dienste eines ganz bestimmten Gebrauchszweckes ständen nicht im Schutzbereich des Urheberrechts. Das Obergericht zitierte dazu Kummer (a.a.O., S. 219) und ZR 70 Nr. 60 S. 169. Bei den hier zitierten Stellen geht es aber in beiden Fällen um das Urheberrecht an körperlichen Sachen, an Kunstwerken.
Es trifft zu, dass Kunstwerke, die in ihrer körperlichen Form direkt und konkret in einem bestimmten Gebrauchszweck stehen, keinen urheberrechtlichen Schutz geniessen. Handelt es sich aber um literarische Werke, deren Inhalt selbstverständlich auch einem bestimmten Gebrauch dienen kann, deren körperliche Form selbst aber in keinem solchen Gebrauchszweck steht, greift der urheberrechtliche Schutz Platz. Es ist deshalb festzuhalten, dass Texte – wie Lehrbücher, Kochbücher und dergleichen -, sofern sie das geforderte individuelle Gepräge aufweisen, urheberrechtlich geschützt sind und zwar unabhängig davon, ob ihr Inhalt einem bestimmten Gebrauch dient (Kummer, a.a.O., S. 213, 215; BGE 88 IV 123 ff.). Dem steht auch nicht die Aussage von Bürens (Kommentar zum Wettbewerbsgesetz, S. 3 N 4, S. 49 N 26) entgegen, der davon spricht, dass Preislisten, Warenkataloge und Gebrauchsanweisungen «in der Regel» nicht unter den urheberrechtlichen Schutz fallen. Weist der Text im Einzelfall ein individuelles Gepräge auf, so verdient auch eine «Gebrauchsanweisung» Urheberrechtsschutz (Rehbinder, a.a.O., Rdn. 55). Inwieweit jene Bedienungsanleitung im vom Verzeigten angeführten Entscheid allenfalls individuelle Merkmale aufgewiesen hat, wurde vom Obergericht nicht geprüft. In seinem Entscheid geht es denn auch primär um wettbewerbsrechtliche Fragen. Aber auch in dieser Hinsicht kann den Erwägungen des Obergerichts nicht mehr gefolgt werden. Es führte aus, dass Preislisten, Warenkataloge, Gebrauchsanweisungen usw., die häufig das Resultat erheblichen Arbeitsaufwandes sind, nachgeahmt werden dürften. Dass der Nachahmer sich Arbeit erspare, die der Vorgänger für das gleiche Ergebnis habe aufwenden müssen, falle nach von Büren (a.a.O., S. 49, 26) ausser Betracht. Die Kostenersparnis mache nicht unlauter. Ob sich der Nachahmer sogar des Photokopiergerätes bediene, spiele nach SJZ 66 (1970) 327 keine Rolle. Diese im obergerichtlichen Entscheid erwähnte Auffassung ist insoweit überholt, als die Übernahme eines fremden Erzeugnisses gegen Wettbewerbsrecht verstösst, wenn besondere Umstände vorliegen (BGE 108 II 332). Die Nachahmung ist erlaubt; verboten bleibt aber die Vervielfältigung, d.h. beispielsweise das Nachpressen von Schallplatten oder die Übernahme von Katalogphotos mittels photomechanischem Nachdruck (SJZ 79 [1983] 130f.; A. Troller, Immaterialgüterrecht, Bd.II, 3.A., S.953f.). Selbst der angeführte Entscheid in SJZ 66 (1970) 327 hält fest, dass Wettbewerbsrecht verletzt wird, wenn erst vor kurzer Zeit herausgegebene Werke nachgedruckt werden. In diesem Lichte betrachtet zeigt sich, dass die sklavische Nachahmung durch Nachdrucken bzw. Vervielfältigen auch unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten unzulässig ist.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es sich beim vorliegenden T3100 Benutzerhandbuch um ein urheberrechtlich geschütztes literarisches Werk handelt. Mithin hat der Verzeigte unter Verletzung des Urheberrechts gehandelt. Der objektive Tatbestand ist auch in dieser Hinsicht erfüllt.

b) In bezug auf den subjektiven Tatbestand wird gemäss Art. 46 URG Vorsatz vorausgesetzt. Die fahrlässige Übertretung von Art. 42 Ziff. 1 lit. b URG ist nicht strafbar.
Dass der Verzeigte mit Wissen und Willen die T3100 Benutzerhandbücher hat herstellen lassen und diese dann mit den Geräten den Käufern lieferte, ist unbestritten. Er macht geltend, dass er sich in einem Sachverhaltsirrtum befunden habe und zwar dahingehend, dass er auf Grund des obergerichtlichen Entscheids davon ausging, es handle sich beim Benutzerhandbuch nicht um ein urheberrechtlich geschütztes Werk. Er habe deshalb nicht im Wissen gehandelt, gegen das Urheberrechtsgesetz zu verstossen.
Nach unangefochtener, herrschender Lehre regelt Art. 20 StGB ausschliesslich den Verbotsirrtum, d.h. den Irrtum darüber, ob ein bestimmtes Verhalten verboten und unter Strafe gestellt ist, nicht aber den Irrtum über Tatbestandsmerkmale rechtlicher Natur, welche in einem anderen Rechtsgebiet – ausserhalb des Strafrechts – umschrieben werden. Hat sich der Täter über Lebensvorgänge oder Umstände geirrt, welche einem objektiven gesetzlichen Tatbestandsmerkmal entsprechen, so befand er sich in einer irrigen Vorstellung über den rechtserheblichen Sachverhalt (BGE 109 IV 76 mit Hinweisen). Vorliegendenfalls irrte sich der Verzeigte über eine urheberrechtliche Regelung in zivilrechtlicher Hinsicht, nicht über die strafrechtliche Regelung. Sein allfälliger Irrtum bezog sich auf die urheberrechtliche Werkqualifikation, mithin auf die Urheberrechtswidrigkeit seines Handelns. Ein solcher Irrtum über die zivilrechtliche Situation untersteht den Bestimmungen über den Sachverhaltsirrtum (BGE 109 IV 67).
Der Täter ist nach dem Sachverhalt zu beurteilen, den er sich vorgestellt hat (Art. 19 StGB). In Anbetracht eines etwa 200 Seiten starken Handbuches und einem klaren Copyright-Vermerk auf dessen Buchdeckelinnenseite – der in der Folge vom Verzeigten gerade nicht mitkopiert worden ist – musste der Verzeigte eine allfällige Verletzung von Rechten Dritter ins Auge fassen. Der Verzeigte macht nun geltend, er habe sich deswegen mit seinem Rechtsanwalt in Verbindung gesetzt. Dieser habe ihm – unter Bezugnahme auf den angeführten obergerichtlichen Entscheid – versichert, dass sein Vorgehen Urheberrechte nicht verletze. Auf Grund dieser Sachlage habe er dann die Nachdrucke der Bedienungsanleitung in die Wege geleitet. Der Verzeigte durfte im Hinblick auf die ihm durch einen Rechtsanwalt zur Kenntnis gebrachten obergerichtlichen Erwägungen davon ausgehen, dass sein Handeln keine urheberrechtliche Verletzung darstelle. Es weisen keine Anhaltspunkte darauf hin, dass er diese Auskünfte nicht vor der Tat eingeholt hat. Die Tatsache, dass sich sein Anwalt – auf die Frage des Gerichts, wann sich sein Mandant bei ihm erkundigt habe – auf das Anwaltsgeheimnis beruft und der Verzeigte seinen Anwalt allenfalls von seiner Schweigepflicht nicht entbindet, kann für sich allein nicht dahingehend gewürdigt werden, dass die entsprechende Aussage des Verzeigten deshalb als reine Schutzbehauptung erscheine (Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozess mit Berücksichtigung des Zivilprozesses, in: Zürcher Schriften zum Verfahrensrecht, Bd.5, S.206 f.,158 ff., 232). Eine Entbindung von der Geheimhaltepflicht durch die Aufsichtskomrnission ist sodann nicht angebracht, da – in Anbetracht des Umstandes, dass es sich hier um ein Antragsdelikt handelt – kein öffentliches Interesse im Vordergrund steht. Die Wahrung eines Berufsgeheimnisses ist diesfalls von grösserem Wert (ZR 46 Nr. 168 S.336; vgl. auch ZR 70 Nr. 95). Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich der Verzeigte im Zeitpunkt der Tat in einem Sachverhaltsirrtum befand, zumal aus den Akten auch keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass er bereits wegen einer gleichartigen Übertretung bestraft worden wäre. Das Inverkehrbringen von urheberrechtlich nicht geschützten Werken ist nicht strafbar. Der Verzeigte, der von diesem Sachverhalt ausging, ist demnach von einer URG-Übertretung freizusprechen.

III. In Ziffer III. der Strafverfügung verfügte das Statthalteramt, dass die beschlagnahmten 85 nachgedruckten Benutzerhandbücher definitiv einzuziehen und nach Eintritt der Rechtskraft der Strafverfügung durch die Kantonspolizei zu vernichten seien. Der Verzeigte seinerseits beantragt, dass ihm diese Handbücher herauszugeben seien.
Das Gericht kann im Falle der zivil- oder strafrechtlichen Verurteilung die Einziehung und die Verwertung, Zerstörung oder Unbrauchbarmachung der unter Verletzung des Urheberrechts hergestellten oder in Verkehr oder an die Öffentlichkeit gebrachten Exemplare eines Werkes verfügen (Art. 54 Abs. 1 Ziff. 1 lit. a URG). Damit regelt das URG das diesbezügliche Vorgehen selbst. Die allgemeinen Bestimmungen des StGB finden insoweit keine Anwendung, als andere Bundesgesetze selbst Bestimmungen aufstellen (Art. 333 Abs. 1 StGB). Für die Anwendung von Art. 58 StGB bleibt deshalb kein Raum; massgebend ist allein Art. 54 URG. Dieser setzt voraus, dass eine zivil- oder strafrechtliche Verurteilung stattgefunden hat. In Anbetracht der Tatsachen, dass der Verzeigte vorliegendenfalls freizusprechen ist und die Geschädigte in diesem Verfahren keine zivilrechtlichen Ansprüche geltend macht, fehlt einer definitiven Einziehung und Vernichtung der beschlagnahmten Handbücher – trotz der festgestellten objektiven Urheberrechtsverletzung – die gesetzliche Grundlage. Die beschlagnahmten 85 T3100 Benutzerhandbücher sind dem Verzeigten daher wieder herauszugeben. Der Geschädigten bleibt es unbenommen, auf zivilrechtlichem Wege die Einziehung und Vernichtung herbeizuführen.

Quelle: SJZ 1988, Nr. 61, S. 365 ff.
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