Sachverhalt und Verfahren
[…]
b. Prozessgegenstand
Die Beklagte beauftragte die Klägerin in der ersten Hälfte des Jahres 2015 mit der Erstellung einer individualisierten technischen Plattform (B2._____ Plattform). Die Parteien beabsichtigten eine längerfristige Zusammenarbeit, was sie am 15. Juli 2015 im ‚Letter of Intent‘ (LOI) festhielten. Die ersten Parameter der vertraglichen Zusammenarbeit wurden in der sogenannte Eckpunktevereinbarung vom Dezember 2015 festgehalten. Die Klägerin begann in der Folge für die Beklagte zu arbeiten. Parallel dazu liefen die Verhandlungen für den Abschluss des sogenannten ‚Long Form Agreements‘, eines Dienstleistungsvertrags mit einer Mindestlaufzeit von fünf Jahren. Im Laufe der Vertragsverhandlungen schlossen die Parteien die sogenannte Erweiterte Eckpunktevereinbarung vom 12./13. Dezember 2016 ab. Sie verfolgten weiterhin das Ziel, nach dem Launch der Plattform das ‚Long Form Agreement‘ mit fünfjähriger Mindestlaufzeit abzuschliessen. Am 19. Dezember 2017, vor einem Abschluss des ‚Long Form Agreements‘, teilte die Beklagte der Klägerin den Projektabbruch mit.
[…]
Erwägungen
3. Vertragsqualifikation
[…]
3.2. Rechtliches
Die rechtliche Qualifikation von Verträgen betreffend Informatikprojekte hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Im Vordergrund steht hierbei die Anwendung von Kauf-, Werk- und Lizenzvertrags- sowie Miet- und Pachtrecht (BGE 124 III 456 E. 4b.bb). In der Regel handelt es sich um gemischte Verträge.
Das Bundesgericht hat bei der Lieferung und Überlassung eines EDV-Komplettsystems aus standardisierter Hard- und Software gegen einmalige Bezahlung eines Kaufpreises die Anwendung des kaufvertraglichen Gewährleistungsrechts (BGE 124 III 456 E. 4b/bb; Urteil BGer 4A_251/2007 E. 3) und bei Leistungsstörungen im Rahmen von Individualisierungsarbeiten an einem Programmpaket die Anwendung der werkvertraglichen Vorschrift von Art. 377 OR (Urteil BGer 4C.393/2006 E. 3.1) geschützt. Das Schrifttum misst in solchen Konstellationen dem Werkvertragsrecht ein gewisses Übergewicht zu (BGE 124 III 456 E. 4b.bb m.H.; SLONGO WAGEN, Der Softwareherstellungsvertrag, Diss. 1991, 65 f.; SURY, Digital in Law: Informatikrecht, 2. Aufl. 2021, 68 ff.; WIDMER, Risikofolgeverteilung bei Informatikprojekten: Haftung für Softwaremängel bei Planung und Realisierung von Informationssystemen, Diss. 1990, 71 ff.). Die Unterscheidung zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht wird dadurch relativiert, dass die Parteien auch im Rahmen des Kaufvertragsrechts ein Nachbesserungsrecht vereinbaren können, was sie bei Informatikprojekten – allenfalls nachträglich – regelmässig auch machen werden (Urteile BGer 4A_446/2015 E. 3.3; 4A_251/2007 E. 4.2).
3.3. Subsumtion
Die Klägerin wurde von der Beklagten gegen Zahlung eines Entgelts mit der Entwicklung und dem Betrieb der B2._____ Plattform beauftragt, welche auf die indi-
viduellen Vorstellungen und Erfordernisse der Beklagten zugeschnitten sein soll. Die Plattform soll auf der D._____ (‚D._____‘) Plattform der Klägerin basieren und mit einer IPTV/OTT Lösung (IPTV = ‚Internet Protocoll Television‘; OTT = ‚Over-the-Top‘) erweitert werden, um die individuellen Bedürfnisse der Beklagten umzusetzen. Ausgangspunkt bildet mithin eine bestehende Plattform der Klägerin, die an die Bedürfnisse der Beklagten angepasst werden soll, und wofür teilweise neue Features eigens für die Beklagte programmiert werden sollen. Zudem soll das Erscheinungsbild für die Beklagte individualisiert werden. Ferner hätten nach dem Launch der Plattform deren Betrieb und Wartung durch die Klägerin erfolgen sollen. Die Entwicklungsergebnisse an den exklusiv für sie entwickelten Features hätten der Beklagten alleine zustehen und für die übrige Plattform hätte ihr eine uneingeschränkte und unübertragbare Lizenz zur Nutzung für die Vertragslaufzeit des ‚Long Form Agreements‘ eingeräumt werden sollen.
Dieser vertraglichen Regelung liegt kein einheitliches Rechtsverhältnis zugrunde. Vielmehr enthält sie Komponenten eines Software-Entwicklungs-, Software-Überlassungs- und Software-Wartungsvertrags. Die Entwicklung der B2._____ Plattform basierte zwar auf einer standardisierten Plattform der Klägerin, war je-
doch individuell anzupassen und mittels Features auf die Beklagte zuzuschneiden. Insofern waren die Erstellung eines Werks und ein konkreter Erfolg gegen Bezahlung eines Entgelts geschuldet. Entsprechend ist für eine solche Entwicklungstätigkeit Werkvertragsrecht anwendbar. Hinsichtlich des Rechtserwerbs an den Entwicklungsergebnissen für die individuell programmierten Features kommt ebenfalls Werkvertragsrecht, für die übrigen Features kommen mangels individualisierender Leistungen hingegen Bestimmungen des Lizenzvertragsrechts zur Anwendung (BGE 133 III 360 E. 8.1 = Pra 97 [2008] Nr. 6; 96 II 154 E. 2; 92 II 299 E. 3a). Für den Betrieb und die Wartung wiederum ist sorgfältiges Tätigwerden gegen die Bezahlung eines Entgelts geschuldet, weshalb Auftragsrecht anwendbar ist.
3.4. Fazit
Es handelt sich vorliegend um einen gemischten Vertrag, der den Regelungen des Werkvertrags-, Lizenz- und Auftragsrechts untersteht.
4. Beendigung der Vertragsbeziehung
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4.2. Zwingendes Recht
Parteivereinbarungen sind nur gültig, wenn ihnen nicht zwingendes Gesetzesrecht entgegensteht. Die jederzeitige Beendigungsmöglichkeit des einfachen Auftrags gemäss Art. 404 Abs. 1 OR stellt – wie von den Parteien zutreffend ausgeführt – zwingendes Recht dar. Ausserdem müssen Dauerschuldverhältnisse – worunter insbesondere ein Lizenzvertrag fällt – gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung aus wichtigem Grund jederzeit auflösbar sein (BGE 133 III 360 E. 9.1 = Pra 97 [2008] Nr. 6; 128 III 428 E. 3; 96 II 154 E. 2; 92 II 299 E. 3b). Da die Parteien eine mit den zwingenden Gesetzesbestimmungen konforme Vereinbarung getroffen haben – was nachfolgend ausgeführt wird – kann offen bleiben, ob Auftrags-, Werkvertrags- oder Lizenzvertragsrecht auf die Frage der Vertragsbeendigung anwendbar wäre.