Entscheid des Einzelrichters im summarischen Verfahren Kantonsgericht Zug vom 30.8.1988

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Nicht amtliche Leitsätze: Urheberrechtlicher (aURG) Schutz von Computerprogrammen (Erwägung 3); Indizien für die Ähnlichkeit zweier Computerprogramme (Erwägung 3); nicht leicht ersetzbarer Schaden oder Nachteil; Verwirkung des Anspruchs auf Erlass vorsorglicher Massnahmen (Erwägung 5).

Zusammenfassung des Sachverhalts: Die Gesuchsstellerin 1 vertreibt weltweit das Computerprogramm „Auto-CAD“. Ihre Schweizer Niederlassung, die Gesuchstellerin 2, vertreibt es in der Schweiz. Die Gesuchsbeklagte vertreibt unter dem Namen „A-CAD“ ebenfalls eine CAD-Computerprogramm. Die Gesuchstellerinnen beantragen ein vorsorgliches Verkaufsverbot für A-CAD und die Beschlagnahme verschiedener Unterlagen, wie Disketten, Handbücher etc.Der Einzelrichter zieht in Erwägung:

1. (…)

2. Die Gesuchsbeklagte stellt die Berechtigung des Begehrens zunächst mit der Begründung in Abrede, den Gesuchstellerinnen fehle das Rechtsschutzinteresse. Das beanstandete Programm A-CAD 1.21 sei nicht mehr im Handel erhältlich und auch die Gesuchstellerinnen vertrieben ihr Programm «AutoCAD» in der Version 2.5 nicht mehr.
Erste Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Leistungs- bzw. Unterlassungsbegehrens ist das Vorhandensein eines Rechtsschutzbedürfnisses. Dies folgt daraus, dass die Rechtsschutzeinrichtungen nur zur Wahrung legitimer Interessen zur Verfügung gestellt werden (vgl. Guldener, a.a.O., S. 205). Träfe die Behauptung der Gesuchsbeklagten zu, die angeblich identischen Programme der Gesuchstellerinnen einerseits und der Gesuchsbeklagten anderseits würden nicht mehr angeboten, wäre einem Unterlassungsbegehren die Grundlage zufolge Fehlens eines schützenswerten Interesses entzogen. Dass die Gesuchstellerinnen ihr CAD-Programm in der Version 2.5 nicht mehr vertreiben, ist eine durch nichts belegte Behauptung der Gesuchsbeklagten. Wenn diese behaupten lässt, sie biete das von den Gesuchstellerinnen beanstandete Programm nicht mehr an, ist nicht verständlich, aus welchen Überlegungen sie in der Gesuchsantwort von den Gesuchstellerinnen eine Sicherheitsleistung von Fr. 500‘000.- wegen Umsatzeinbussen verlangt. In ihrer Stellungnahme zum Gutachten verlangt sie sogar eine Erhöhung dieser Kaution auf mindestens Fr. 750‘000.-. Träfe die Behauptung der Gesuchsbeklagten zu, wäre auch nicht verständlich, aus welchen Gründen sie derart ausführlich darzulegen versuchte, dass die Programme nicht identisch seien. Sie hätte sich damit begnügen können darzulegen, dass das beanstandete Programm nicht mehr verkauft werde und somit behauptete Rechte der Gesuchstellerinnen nicht verletzt würden. Das widersprüchliche Verhalten der Gesuchsbeklagten legt den Schluss nahe, dass sie nach wie vor das angeblich kopierte CAD-Programm anbieten will. Den Gesuchstellerinnen kann daher ein Rechtsschutzinteresse nicht abgesprochen werden.

3. Die Gesuchstellerinnen leiten ihren Unterlassungsanspruch in erster Linie aus dem Urheberrecht ab.
Unter dem Schutz des Urheberrechtsgesetzes stehen die Werke der Literatur und Kunst, Werke der Fotografie, Sammlungen und Wiedergaben (Art. 1-4 URG). Computerprogramme finden im geltenden schweizerischen Urheberrechtsgesetz keine Erwähnung. Die Aufzählung der Werkgattungen in Art. 1-4 URG schliesst andere Werke vom Urheberrechtsschutz jedoch nicht aus. Das URG nennt nur Beispiele für den Begriff; dieser umfasst alle geistigen Schöpfungen, welche die für ein Werk der Literatur und Kunst wesentlichen Merkmale aufweisen (Troller, Immaterialgüterrecht, Bd. I, 3. A., S. 347 f.). In der Literatur herrscht die Auffassung vor, Computer-Software geniesse den urheberrechtlichen Schutz, sofern das für den urheberrechtlichen Werkcharakter entscheidende Kriterium – Originalität und Individualität – erfüllt sei (statt vieler: Kaspar Spoendlin, Urheberrechtsschutz für Computer-Software, SMI 1986, S. 7 ff. mit Hinweisen). Auch in den wenigen kantonalen Entscheidungen, die zu diesem Problemkreis ergangen sind, wird die Auffassung vertreten, Computerprogramme stünden unter dem Schutz des geltenden URG (vgl. Entscheidungen des Tribunal cantonal du canton de Vaud vom 10. April 1987 i.S. A. gegen L. bzw. vom 11. November 1987 i.S. A. und I. gegen L. und Sch.). Dass das von den Gesuchstellerinnen entwickelte und angebotene Programm «AutoCAD» über die geforderte Originalität und Individualität verfügt, ergibt sich aus den Feststellungen des Gutachters Buchmann: Er bewertet auf S. 8 seiner Expertise AutoCAD aufgrund seiner ausserordentlichen Eigenschaften als ausgereiftes, leistungsfähiges und einzigartiges CAD – (Drafting) – Software-Programm von Welt-Spitzen-Klasse. Die Individualität des Programmes AutoCAD ergibt sich auch aus dem gerichtlichen Gutachten: Der Experte erwähnt in seiner Antwort zu Frage 5.3 verschiedene spezielle Eigenschaften, die das Programm gegenüber anderen CAD-Programmen aufweise, wie spezielle Systemstruktur mit Overlay-Technik, breite Funktionalität, insbesondere die Methodik des erweiterten Funktionssatzes, Anschlussfähigkeit der Zeichnungsdateien über definierte Schnittstellen (ADI, DXF), wobei DXF eine anerkannte Autodesk-Eigenentwicklung sei etc. Das vom Bundesgericht verlangte Niveau hinsichtlich Originalität und Individualität eines Werkes ist zudem nicht hoch (Spoendlin, a.a.O., S. 9 mit Hinweisen). Lutz und Ritscher vertreten in SMI 1986, S. 212, sogar die Auffassung, es müsse grundsätzlich davon ausgegangen werden können, dass jedes Computerprogramm urheberrechtlich geschützt sei und somit eine Urheberrechtsvermutung bestünde. Zu erwähnen gilt es schliesslich, dass die Gesuchsbeklagte in ihrer Vernehmlassung ihr eigenes Programm A-CAD als Resultat eigenständiger, schöpferischer Leistung bezeichnet, ihrer Software mithin urheberrechtlichen Werkcharakter beimisst. Die Gesuchstellerinnen haben mithin Anspruch auf urheberrechtlichen Schutz, wenn sie glaubhaft machen können, dass das von der Gesuchsbeklagten entwickelte und in Verkehr gebrachte Programm A-CAD eine Kopie des Programmes AutoCAD ist und somit eine unzulässige Wiedergabe im Sinne des Art. 42 Ziff. 1 lit. a URG vorliegt.
Der Gutachter Buchmann gelangt aufgrund von 12 Kopierindizien zum Ergebnis, dass die beiden untersuchten CAD-(Drafting)-Programme AutoCAD 2.5 und A-CAD 1.21 einander durch und durch ähnlich seien. Diese Ähnlichkeit umfasse sowohl Programmstruktur, Bedienung, Benutzerinterface und Programmfehler. Aufgrund dieser erdrückenden Gleichheit schliesst er eine Eigenkreation von A-CAD 1.21 aus. Er schliesst auch vollständig aus, dass A-CAD 1.21 von Grund auf neu geschrieben worden sei. Eine unabhängige Parallelschöpfung ist aufgrund dieser Feststellungen mithin auszuschliessen. Der Gerichtsexperte bestätigt das Privatgutachten im Ergebnis. Nach Darstellung des Gutachters kann aufgrund der getätigten Untersuchungen zwar nicht der sichere Schluss gezogen werden, beim Programm der Gesuchsbeklagten handle es sich um eine komplette Kopie. Der Gutachter führt indessen unmissverständlich aus:
«Die im Gutachten Buchmann enthaltenen Kopierindizien sowie meine oben dargestellten Überlegungen veranlassen mich zu der Schlussfolgerung, dass es sich mit einem Wahrscheinlichkeitsgrad von mehr als 90% beim Programm A-CAD 1.21 um eine Kopie des Programmes AutoCAD 2.5 handelt».
Die Gesuchsbeklagte spart zwar nicht mit herber Kritik am Experten und am Gutachten. Dass der Experte nicht über genügende fachliche Qualifikation verfügt, ist jedoch eine durch nichts belegte Behauptung und wird bereits durch die von ihm bekleidete Stellung als Direktor der Informatikdienste der ETH Zürich widerlegt.
Die Gesuchsbeklagte hat überdies bei der Expertennomination keinerlei Einwendungen gegen die Person des in Aussicht genommenen Gutachters erhoben. Der Vorwurf, der Gutachter habe die Source-Codes nicht miteinander verglichen, vermag den gravierenden Vorwurf gegenüber dem Gerichtsexperten nicht zu begründen. Auch der Hinweis der Gesuchsbeklagten auf eine Meinungsäusserung von Prof. dipl. Ing. Christian Helfrich vom 31.7.1988 (BB 47), wonach die einzige sichere Methode der Vergleich der Quellencodes sei, um feststellen zu können, ob es sich um eine Kopie handle, hilft der Gesuchsbeklagten nichts. Im vorliegenden Verfahren haben die Gesuchstellerinnen ihren Anspruch lediglich glaubhaft zu machen; der strikte Beweis bleibt dem ordentlichen Verfahren vorbehalten. Die vorhandenen Unterlagen reichten offensichtlich aus, um feststellen zu können, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90% eine Kopie vorliege. Einzig die Rüge, das Gutachten sei nicht unterzeichnet, war im Zeitpunkt der Ablieferung der Expertise gerechtfertigt. Der Experte hat das Dokument irrtümlich nicht unterzeichnet, und das bei den Gerichtsakten liegende Exemplar wurde von ihm nachträglich unterschrieben; es liegt mithin eine auch formell nicht zu beanstandende Expertise vor. Die von der Gesuchsbeklagten erhobenen Einwendungen sind samt und sonders nicht geeignet, Zweifel an der Schlüssigkeit des Gutachtens zu begründen. Der Antrag auf die Einholung einer Oberexpertise ist daher zu verwerfen. In diesem Zusammenhang ist erneut darauf hinzuweisen, dass blosse Glaubhaftmachung des Anspruches im vorliegenden summarischen Verfahren genügt. Den Gesuchstellerinnen ist es mithin gelungen, eine Urheberrechtsverletzung glaubhaft zu machen.

4. Die Gesuchstellerinnen leiten ihren Anspruch auch aus Wettbewerbsrecht her.
Unlauter im Sinne des Art. 5c UWG handelt, wer das marktreife Arbeitsergebnis eines anderen ohne angemessenen eigenen Aufwand durch technische Reproduktionsverfahren als solches übernimmt und verwertet.
Aufgrund der Gutachten liegt hier eine solche Leistungsübernahme vor, zumindest ist sie hinreichend glaubhaft gemacht. Die Gesuchstellerinnen können ihren Unterlassungsanspruch mithin auch auf Wettbewerbsrecht stützen.

5. Die Gesuchstellerinnen haben im weiteren den Verfügungsgrund, d.h. das Drohen eines nicht leicht ersetzbaren Schadens oder Nachteils bei nicht sofortigem Rechtsschutz glaubhaft zu machen. Sie machen materiellen und immateriellen Schaden geltend. Es ist ihnen hierin beizupflichten, dass eine Marktverwirrung entstehen kann, wenn zwei praktisch identische CAD-Programme auf dem Markt erhältlich sind. Dies kann zu Verwechslungen führen, die den Gesuchstellerinnen zum Nachteil gereichen können. Es drohen ihnen auch Umsatzverluste, die der Höhe nach schwer beweisbar und demgemäss nicht leicht ersetzbar wären. Die Gesuchstellerinnen haben demgemäss Anspruch auf Erlass vorsorglicher Massnahmen im Sinne der Art. 53 URG und 14 UWG in Verbindung mit Art. 28c-28f ZGB. Dieser Anspruch ist entgegen der Behauptung der Gesuchsbeklagten nicht verwirkt. Um ihren Unterlassungsanspruch dem Gericht gegenüber glaubhaft machen zu können, drängte sich die Einholung eines Privatgutachtens auf. Die Bearbeitung der Expertise nahm eine gewisse Zeit in Anspruch, und die Gesuchstellerinnen haben sofort nach Vorliegen des Gutachtens das Unterlassungsbegehren gestellt.

6. Den Gesuchstellerinnen ist gestützt auf Art. 28e Abs. 2 ZGB Frist anzusetzen, innert welcher sie die Klage im ordentlichen Verfahren einzureichen haben, verbunden mit der Androhung, dass nach unbenütztem Ablauf dieser Frist die vorsorglichen Massnahmen dahinfallen.

7. Die Gesuchstellerinnen wurden am 28. März 1988 verpflichtet, eine Kaution in der Höhe von Fr. 300‘000.- als Sicherheit für allfällige Schadenersatzforderungen der Gesuchsbeklagten zu leisten. Die Gesuchstellerinnen haben eine entsprechende Bankgarantie einreichen lassen. Die Gesuchsbeklagte verlangt in ihrer Stellungnahme zum Gutachten eine Erhöhung der Kaution auf mindestens Fr. 750’000.-. Eine substantiierte Begründung fehlt jedoch. Der Antrag ist daher abzuweisen.

8. Die am 3. März 1988 von der Kantonspolizei Zug unter Beizug eines Fachmannes bei der Gesuchsbeklagten beschlagnahmten Gegenstände bleiben gestützt auf Art. 28c Abs. 2 Ziff. 2 ZGB zum Zwecke der Beweissicherung in gerichtlicher Verwahrung. Sie bleiben indessen zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen der Einsichtnahme durch die Gesuchstellerinnen entzogen; die Gesuchsbeklagte konnte glaubhaft machen, dass die beschlagnahmten Gegenstände vertrauliche Informationen enthalten. Dem Siegelungebegehren der Gesuchsbeklagten ist somit in diesem Sinne zu entsprechen.

Quelle: SMI 1989, S. 58 ff.
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