Zusammenfassung des Sachverhalts: Die Parteien haben am 19. Dezember 1988 einen Software-Lizenzvertrag über eine Buchhaltungs-Software abgeschlossen. In einem Nachtrag haben sie vereinbart, dass die Computerprogramme im Objektcode installiert würden. In der Folge wurde der Objekt- und auch der Quellcode (Sourcecode) installiert.
Die Lizenzgeberin verlangte klageweise von der Lizenznehmerin, die Herausgabe des Quellcodes; weiter verlangte sie unter anderem, dass die Lizenznehmerin als Beklagte die von ihr vorgenommenen Änderungen rückgängig mache.
Dieser Entscheid wurde vom Bundesgericht umgestossen (BGE 125 III 263 ff./ Auszug aus dem Urteil des Bundesgerichtes vom 29. April 1999 / i.S. Lobos Informatik AG gegen Debita AG ).
Aus den Erwägungen:
3. Unbestrittenermassen schlossen die Parteien einen Lizenzvertrag mit Nachtrag. Die Beklagte hat ferner erwiesenermassen Änderungen am Lizenzmaterial vorgenommen. Streitig ist nun, ob diese Änderungen, wie die Klägerin geltend macht, zu Unrecht ausgeführt worden sind. Die Beklagte bestreitet die urheberrechtliche Qualifikation der von ihr geänderten Programme und ist überdies der Ansicht, sie sei gestützt auf Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages berechtigt gewesen, diese Änderungen vorzunehmen.
Für den Fall, dass die Beklagte vertraglich berechtigt war, Änderungen am Lizenzmaterial vorzunehmen, kann offen bleiben, ob dieses tatsächlich urheberrechtlich geschützt ist. Auf dieser Grundlage ist zu untersuchen, ob der Beklagten ein Änderungsrecht eingeräumt wurde.
a) Der Inhalt eines Vertrages bestimmt sich in erster Linie nach dem übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien (Art. 18 Abs. 1 OR).
aa) Die Klägerin ist der Ansicht, aus dem Umstand, dass die Programme gemäss Ziff. 2 Abs. 2 des Nachtrages im Object Code installiert worden seien und diese nur mit Hilfe des Source Codes hätten verändert werden können, sei der Beklagten klar gewesen, dass sie für die Vornahme von Änderungen auf die Mitwirkung der Klägerin angewiesen gewesen sei. Der Source Code sei der Beklagten nicht überlassen, sondern ebenfalls bei ihr installiert worden, um direkt bei ihr Anpassungen hinsichtlich einer Optimierung der Software vornehmen zu können. Es sei jedenfalls nicht ausdrücklich vereinbart worden, dass die Beklagte das Recht habe, Änderungen am Programm vorzunehmen. Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages, nach welchem der Kunde das Recht habe, das Lizenzmaterial ganz oder teilweise zu ändern, an seine Bedürfnisse anzupassen oder mit anderen Programmen zu verbinden, finde sich in den Allgemeinen Bestimmungen eines vorgedruckten Formulars. Gemäss Ziff. 1.2 des Lizenzvertrages würden jedoch die im Anhang festgehaltenen Vereinbarungen den Allgemeinen Bedingungen vorgehen. Bezüglich des Umfanges der Benützungsrechte verweise überdies Ziff. 5.1 Abs. 2 des Lizenzvertrages ausdrücklich auf den Anhang. Gemäss Ziff. 2 Abs. 2 des Nachtrages bestehe nun ein wesentlicher Vertragsbestandteil darin, dass die Installation im Object Code erfolgt sei, welcher nicht veränderbar sei. Mit dieser Klausel sei Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages aufgehoben worden.
Die Beklagte macht demgegenüber geltend, es sei ausdrücklich vereinbart worden, dass sie das Recht habe, Änderungen am Lizenzmaterial gemäss Ziff. 1 des Nachtrages vorzunehmen. Dies sei auch in Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages festgehalten. Sie sei ferner nie davon ausgegangen, dass sie für die Vornahme auf die Mitwirkung der Klägerin angewiesen sei. Die Bedeutung von Ziff. 2 Abs. 2 des Nachtrages sei ihr jedenfalls anlässlich des Vertragsabschlusses – wenn überhaupt bekannt – keineswegs klar gewesen.
bb) Nach diesen Ausführungen lässt sich kein übereinstimmender wirklicher Wille zur Frage eines allfälligen Abänderungsrechts des Lizenzmaterials feststellen. Die im Rahmen des Beweisverfahrens eingeholten Zeugenaussagen vermögen daran auch nichts zu ändern. Da sich demzufolge im Zeitpunkt des Abschlusses des Lizenzvertrages zwischen den Parteien kein übereinstimmender wirklicher Wille bezüglich des Abänderungsrechts feststellen lässt, ist durch objektivierte Auslegung der Vertragswille der Parteien zu ermitteln.
b) Lässt sich ein übereinstimmender wirklicher Vertragswille der Parteien nicht nachweisen, so ist auf den mutmasslichen Parteiwillen abzustellen, welcher nach dem Vertrauensprinzip aufgrund aller Umstände des Vertragsschlusses zu ermitteln ist (BGE 118 II 365 E.1 und BGE 115 II 329 E. 2b). Hierbei hat der Richter das als Vertragswille anzusehen, was vernünftig und redlich handelnde Parteien unter den gegebenen Umständen durch die Verwendung der auszulegenden Worte oder ihr sonstiges Verhalten ausgedrückt haben (P. GAUCH/W.R. SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl., Zürich 1995, Rz. 1201; BGE 116 II 259 E. 5a, 263).
Das primäre Auslegungsmittel ist der Wortlaut der von den Parteien verwendeten Worte (GAUCH/SCHLUEP, Rz. 1206 m.w.H.; P. JÄGGI/P. GAUCH, Zürcher Komm., Zürich 1980, OR 18 N 345). Mangels anderer Anhaltspunkte ist anzunehmen, dass die Parteien ein von ihnen verwendetes Wort gemäss dem allgemeinen Sprachgebrauch zur Zeit des Vertragsabschlusses und somit im Sinne der damaligen Alltags- oder Umgangssprache verwendet haben. Dieser „gebräuchliche Wortsinn“ bildet für den Richter des gleichen Sprachkreises eine gerichtsnotorische Tatsache, und muss deshalb nicht bewiesen werden. Handelt es sich um eine Fremdsprache, so ist der Sinngehalt des Wortlautes (z.B. Fachkreis), dem alle vertragsschliessenden Parteien angehören einen besonderen Sinn, so geht dieser dem allgemeinen Sprachgebrauch vor. Gehört hingegen nur eine Partei dem betreffenden Verkehrskreis an, so ist ein verwendeter Ausdruck nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auszulegen, es sei denn, dass der Vertragspartner auf den besonderen Sinn des Ausdrucks hingewiesen wurde (JÄGGI/GAUCH, OR 18 N 348). Als ergänzende Auslegungsmittel werden oft „die Umstände“ herangezogen. Zu ihnen gehören Tatsachen, die zwar nicht zum Erklärungsvorgang als solchem gehören, aber doch Schlussfolgerungen auf den Willen der Vertragsparteien erlauben. Zu solchen Umständen gehören unter anderem die Begleitumstände des Vertragsabschlusses, das Verhalten der Parteien vor und nach Vertragsabschluss, die Verkehrsauffassung, die Verkehrsübung und namentlich der Vertragszweck. Die Auslegung nach dem Wortlaut kommt im Verhältnis zu den ergänzenden Auslegungsmitteln der Vorrang zu. Der Wortlaut bildet deshalb die Grundlage, aber nicht die Grenze der Auslegung. Auch wenn die Auslegung nach dem Wortlaut zu einem eindeutigen Auslegungsergebnis führt, ist zu prüfen, ob der ermittelte Wortsinn nicht durch andere Auslegungsmittel, insbesondere den Vertragszweck, in Frage gestellt oder ausgeschlossen wird (GAUCH/SCHLUEP, Rz. 1212 ff., JÄGGI/GAUCH, OR 18 N 368).
Was die Auslegungsregeln anbelangt, wird unter den gesetzlichen Regeln (z.B. Art. 76, 189 Abs. 2, 16 Abs. 1 OR etc.) und den allgemeinen Grundsätzen, die sich in Rechtsprechung und Lehre herausgebildet haben, unterschieden. Zu letzteren gehören insbesondere die Auslegung ex tunc, wonach sich der Richter geistig in die Zeit des Vertragsabschlusses zurückzuversetzen und sich in die damalige Lage der vertragsschliessenden Parteien hinein zu denken hat sowie die Auslegung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Es ist zu ermitteln, welche Bedeutung unter den konkreten Umständen dem Sinn und dem Wortlaut der Willenserklärung der Parteien vernünftigerweise zukommt. Dieser Vertragsauslegung entspringt das Vertrauensprinzip, das sich vor allem dann für die Auslegung einer einzelnen Vertragserklärung reduziert. Aufgrund des Vertrauensprinzips sind die Erklärungen der Parteien so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten. Im Weiteren hat die Auslegung ganzheitlich zu erfolgen. Die einzelne Vertragsbestimmung ist unter Mitberücksichtigung des Vertragsganzen und somit auch des Vertragszweckes auszulegen. Im übrigen dürfen die verwendeten Worte nicht bloss buchstäblich ausgelegt werden, gleichwohl der Auslegende vom Wortlaut als primärem Auslegungsmittel auszugehen hat (GAUCH/SCHLUEP, Rz. 1222 ff.; JÄGGI/GAUCH, OR 18 N 411 ff.; H. MERZ, Berner Komm., Bern 1966, ZGB 2 N 125; BGE 107 II 476 und 121 III 123 ).
Für den Fall, dass die Auslegungsmittel zu keinem sicheren Ergebnis führen und mindestens zwei verschiedene Deutungen vertretbar erscheinen, sind in Lehre und Praxis Regeln erstellt worden, welchen indes lediglich subsidiärer Charakter zukommt. Bleiben nach Anwendung der übrigen Auslegungsmittel Zweifel, ist diejenige Bedeutung vorzuziehen, die für den Verfasser der auszulegenden (unklaren) Bestimmung ungünstiger ist (sog. Unklarheitsregel; vgl. GAUCH/SCHLUEP Rz. 1231 sowie JÄGGI/GAUCH, OR 18 N 451 ff. mit weiteren Beispielen).
aa) Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages hält wörtlich fest: „Der Kunde hat das Recht, das Lizenzmaterial ganz oder teilweise zu ändern, an seine Bedürfnisse anzupassen oder mit andern Programmen zu verbinden. Alle diese Bestimmungen dieses Vertrages bleiben auch für das geänderte Lizenzmaterial in Kraft“. Selbst wenn dem Lizenzmaterial urheberrechtlich Qualität zukäme, wäre die Beklagte gestützt auf diese Bestimmung offensichtlich zu den von ihr vorgenommenen Änderungen berechtigt gewesen. Die Klägerin ist nun aber der Ansicht, Ziff. 2 Abs. 2 des Nachtrages habe Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages aufgehoben. Bei Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages handelt es sich um eine klare, unbestrittene Bestimmung, welche nicht weiter auszulegen ist. Zu prüfen ist hingegen die Bedeutung von Ziff. 2 Abs. 2 des Nachtrages mit dem Wortlaut: „Die Installation erfolgt im Object Code“. Allenfalls ist zu entscheiden, ob mit Ziff. 2 Abs. 2 des Nachtrages Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages abgeändert worden ist.
bb) Software wird in der Regel in Maschinensprache (Object Code) angeboten. Die Quellenprogramme (Source Codes) werden grundsätzlich geheim gehalten. Kompilierungsprogramme (Compiler) übersetzen die Quellenprogramme in Maschinensprache, Dekompilierungsprogramme (Decompiler) die unlesbare Maschinensprache in die „lesbare“ Programmiersprache. Die Dekompilierung ist im Gegensatz zur Kompilierung schwieriger durchzuführen, weshalb der Object Code einen (gewissen) Schutz vor Einsicht in die Programmierweise bietet. Der Source Code wird für nachträgliche Verbesserungen oder Weiterentwicklungen der Programme benötigt und nur ausnahmsweise an Dritte weitergegeben (A. FREI, Softwareschutz durch das Patentrecht, in: F.H. THOMANN/G. RAUBER (Hg.), Softwareschutz, Bern 1998, 104 f.).
cc) Die Funktionsweise eines Programms und wie es tatsächlich abgeändert werden kann, die verschiedenen Ausdrücke im Zusammenhang mit der Abänderung eines Programms, die Programmiersprachen etc. kennt allenfalls der Informatiker, insbesondere der Programmierer. Offenkundig ist indes, dass der Anwender ohne Programmierkenntnisse jedoch nicht weiss, was „Object Code“ etc. tatsächlich bedeutet. Es interessiert ihn nicht und muss ihn auch nicht interessieren, weshalb sein Programm läuft oder wie es abgeändert werden kann. Für ihn ist lediglich wichtig, dass es eben läuft, und ob er es allenfalls, unter Zuhilfenahme eines Fachmannes, abändern kann.
Die Beklagte ist im Treuhandsektor tätig, was die Klägerin aufgrund des von ihr zur Verfügung gestellten Lizenzmaterials offensichtlich wusste. Die Klägerin konnte deshalb nicht voraussetzen, dass die Beklagte die fachspezifische Bedeutung der Wendung „Die Installation erfolgt im Object Code“ verstand. Die Beklagte durfte deshalb davon ausgehen, dass sich die Klägerin mit dieser Formulierung verpflichtete, das Lizenzmaterial anwendbar zu installieren. War nun seitens der Klägerin beabsichtigt, durch Ziff. 2 Abs. 2 des Nachtrags bei Vertragsschluss Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages aufzuheben, wäre sie als Computerspezialistin nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, die Beklagte klar und deutlich über die von ihr verstandene Bedeutung von Ziff. 2 Abs. 2 des Nachtrages aufmerksam zu machen. Dass dies nicht gemacht wurde, beweist die klägerische Zeugenaussage L. Die Frage, ob man, als die Vertragsverhandlungen geführt worden seien, von einem Abänderungsrecht gesprochen habe, wird seitens des Zeugen L. verneint. Eine solche Aufklärungspflicht bestand umso mehr, als die Klägerin wusste, dass der Beklagten mittels des Lizenzvertrages ein vollumfängliches Abänderungsrecht eingeräumt wurde („Wir wussten, was darin steht“). Sogar Ziff. 1.2 des Lizenzvertrages verlangt eine „ausdrücklich andere Vereinbarung“, damit die Bestimmungen des Lizenzvertrages keine Anwendung mehr finden. Von einer solchen „ausdrücklichen Vereinbarung“ kann in Ziff. 2 Abs. 2 des Nachtrages keine Rede sein. Damit gilt unter den Parteien nach wie vor Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages, dessen klarer und eindeutiger Wortlaut der Beklagten das Abänderungsrecht des Lizenzmaterials einräumt.
Schliesslich ist aufgrund der Ausführungen von THOMANN/RAUBER (recte: FREI) davon auszugehen, dass selbst der Object Code nicht völlig unabänderbar ist, halten diese doch fest, dass der Object Code nur einen „(gewissen) Schutz“ bietet. Allein damit erweist sich die klägerische Behauptung, mit Ziff. 2 Abs. 2 des Nachtrages sei das Abänderungsrecht gemäss Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages wegbedungen worden, als unbegründet.
c) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Beklagte berechtigt war, Änderungen am Lizenzmaterial auszuführen. Dieser Schluss wird auch nicht durch die übrigen Auslegungsmittel oder Indizien in Frage gestellt. Insbesondere ist das Verhalten der Klägerin zu würdigen, indem sie unbestrittenermassen den Source Code während Jahren bei der Beklagten beliess. Indem die Beklagte infolgedessen mit Recht das Lizenzmaterial abänderte, ist sie auch befugt, sämtliche am Lizenzmaterial ausgeführten Änderungen beizubehalten.
Aus all diesen Gründen folgt ferner auch, dass die Beklagte inskünftig Änderungen mittels des bei ihr belassenen Source Code vornehmen kann und diesen auch nicht herauszugeben hat. Daraus, dass die Klägerin der Beklagten das Recht einräumte, Änderungen am Lizenzmaterial auszuführen und den Source Code ohne gesonderte Vereinbarung ununterbrochen, während Jahren bei der Beklagten beliess, kann einzig der Schluss gezogen werden, dass der Source Code auch der Beklagten gehört und daher von ihr nicht herauszugeben ist. Unter diesen Umständen beging die Beklagte keine Vertragsverletzung, weshalb von der Auferlegung einer Konventionalstrafe abzusehen ist.
Aufgrund dieses Ergebnisses kann schliesslich auch offen bleiben, ob die Änderungen Standard- oder Individualsoftware betrafen, ob die Beklagte den Source Code nur für den Individualanteil oder auch für den Standardanteil der Software besass, und insbesondere, ob den geänderten Programmen urheberrechtlicher Schutz zukommt.
4. Zusammenfassend erweist sich die Klage als unbegründet und ist abzuweisen. Diesem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die Klägerin kosten- und entschädigungspflichtig (§§ 59 ff. ZPO).
Akten-Nr. KG 436/96
Quelle: sic! 1999 Seite 410 ff.
www.softwarevertraege.ch