Einzelgericht des Handelsgerichtes Zürich Urteil vom 20. April 2012/HE120020

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Nicht amtliche Leitsätze: Anforderungen an Substantiierung des Rechtsbegehrens im Hinblick auf die Softwareprodukte (E. 1). Rechtsschutzinteresse der Klägerin (E. 2). Anforderungen an Dringlichkeit des Rechtsbegehrens bei Zuwarten (E. 3). Die Klausel, wonach das „geistige Eigentum an Programmen … sowie anderen im Zusammenhang mit einem EDV-Projekt generierten Materialien ausschliesslich der Herstellerin zustünde“, regelt vermutungsweise die Urheberschaft, nicht aber die urheberrechtlichen Vermögensrechte (E. 5.4.1). Auslegung des Wortlauts einer Nutzungsbeschränkungsklausel (E. 5.4.2). Anwendung von Art. 3 Abs. 2 KG auf eine Nutzungsbeschränkung (E. 5.5). Vorliegen eines nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteils bei Nutzung eines absoluten Rechts und bei Verlust von Kunden (E. 5.7). Voraussetzungen für die Leistung einer angemessenen Sicherheit (E. 5.8).

Rechtsbegehren:

„1. Der Gesuchsgegnerin sei unter Androhung der Straffolgen von Art. 292 StGB gegenüber ihren Organen

a) die eigene Nutzung

b)die Einräumung von Nutzungsrechten zu Gunsten Dritter

c) der Betrieb in einem eigenen oder einem fremden Rechenzentrum in eigenem Namen und auf eigene Rechnung mindestens der folgenden Software-Individual-Programme

„ScanTax – …“
„Leere EZ + Scanning Eingänge Steuerer-klärung“
„Teilautomatisierte Veranlagung“
„Veranlagung StG natürliche Personen/ [X]- Datenpool“
„Ergänzungen zum Steuerabrechnungsbogen“
„Steuerabschluss – Ausgleich Aufteilung“
„Steuern-Aufteilung Körperschaften“
„Steuergesetzrevision […]“
„Wünsche ERFA-[X]“

vorsorglich zu untersagen.

2. Der Antrag gemäss Ziffer 1 sei superprovisorisch zu erlassen.

3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Gesuchsgegnerin.“

Entscheid:

„1. Überblick

Der Verein I… (fortan Klägerin genannt) wurde im Jahre 1995 gegründet. Das Akronym steht für Interessengemeinschaft … Die Klägerin stellt Informatikdienstleistungen vornehmlich für Gemeinden des Kantons X zur Verfügung. Die Beklagte bietet u.a. Software bzw. Softwarelösungen an. Eine ihrer Kundinnen ist die Klägerin.

Die Parteien sind seit dem Jahre 1995 vertraglich verbunden. Das Vertragswerk ist eher komplizierter Natur. Seit dem Jahre 2010 stehen die Parteien in einem Ablösungsprozess, nachdem sich die Klägerin entschieden hatte, einen anderen Anbieter zu berücksichtigen, wobei die Umsetzung im Jahre 2013 abgeschlossen sein sollte. Die Beklagte versuchte in der Folge, Kunden der Klägerin an sich zu ziehen. Deshalb kam es zum Streit.

2.Prozessgeschichte

03.01.2012: Eingang Schutzschrift der Beklagten.

18.01.2012: Massnahmegesuch der Klägerin.

18.01.2012: Abweisung des klägerischen Dringlichkeitsbegehrens.

03.02.2012: Klägerische Stellungnahme zur Schutzschrift.

06.02.2012: Massnahmeantwort der Beklagten.

02.03.2012: Stellungnahme der Klägerin zur Massnahmeantwort.

26.03.2012: Eingabe Klägerin.

3. Verträge der Parteien (Auswahl)

a) Dachvertrag aus dem Jahr 1995, inkl. Nachtrag 1

In Ziffer 3.2 werden die verschiedenen (denkbaren) Verträge definiert.

Der Dachvertrag soll die grundsätzlichen Punkte der Zusammenarbeit im Zusammenhang mit der Realisierung des Projektes „Gemeindefachlösung X“ regeln. Er gehe „sämtlichen widersprechenden Vertragsbestimmungen vor“.
Die Nachträge sollen Bestimmungen über Teilschritte, ergänzende Teilprojekte oder Spezialaufgaben enthalten. Ihre Einzelbestimmungen sollen entgegenstehenden Bestimmungen der Rahmenverträge vorgehen.
Die Rahmenverträge sollen generelle Bestimmungen für die Vertragsbereiche „Kauf von EDV-Produkten“, „Lizenzprogramme“, „Dienstleistungen“ und „Wartung“ aufweisen.
Die Einzelverträge sollen für jeden Geschäftsvorfall (Hardwarekauf, Softwarelizenzierung, Dienstleistung etc.) abgeschlossen werden. Sie sollen im Wesentlichen nur noch Vertragsgegenstand und Preis/Gebühr sowie spezielle Vertragsbestimmungen enthalten. Sodann heisst es, im Falle von Widersprüchen gingen die Bestimmungen des Einzelvertrages den generellen Klauseln des Rahmenvertrages vor wie auch denjenigen der Nachträge.

b) Rahmenvertrag für Lizenzprogramme vom 13. Oktober 1995

Unter Ziffer 2 („Vertragsgegenstand“) steht, der Klägerin werde „ein nur unter besonderen, vertraglich genau geregelten Bedingungen übertragbares, in jedem Fall nicht ausschliessliches, während der Laufdauer dieses Vertrages und bis zur definitiven Abwicklung des Dachvertrages befristetes Recht zur Nutzung von Lizenzprogrammen“ gewährt. Gemäss Ziffer 4 („Übertragbarkeit der Lizenzen“) ist die Übertragung von Lizenzen alleine an Gemeinden gestattet, welche dem klägerischen Rechenzentrum angeschlossen sind. Die von den Gemeinden zu zahlenden Gebühren sollen an die Beklagte weitergeleitet werden.

c) Rahmenvertrag für Dienstleistungen vorn 13. Oktober 1995

Vertragsgegenstand sollen gemäss Ziffer 2.1. u.a. Arbeiten sein, welche die Beklagte im Zusammenhang mit der Konzipierung, Entwicklung, Realisierung und Einführung computergestützter Informationssysteme durchführe. In Ziffer 7.1 heisst es: „Soweit im Einzelvertrag nichts Abweichendes geregelt ist, geht das Arbeitsresultat mit vollständiger Bezahlung der vereinbarten Gebühren in das Eigentum der I… über.“ In Ziffer 7.2 heisst es: „Ohne anderslautende Vereinbarung stehen die Schutzrechte am Arbeitsresultat beiden Vertragsparteien zu. Sie räumen sich gegenseitig die Befugnis ein, diese Rechte unter Beachtung der Geheimhaltungsvorschriften beliebig zu nutzen und auszuwerten.“

d) Einzelverträge

aa) Die Klägerin reichte die Verträge zu den im Rechtsbegehren aufgeführten Softwareprogrammen zu den Akten. Sie datieren aus den Jahren 2002 bis 2006. Bei allen heisst es „Vertrag für Dienstleistungen“ mit Hinweis auf die AGB für Dienstleistungen der Beklagten und bei allen findet sich unter „Eigentumsverhältnisse“ eine Formulierung wie: „Das Lizenzrecht für die Individualsoftware … gehört I… [Die Beklagte] darf die Software … nicht ohne das Einverständnis von I… im Kanton X verkaufen“ (so als Beispiel act. 3/8; Fettdruck nur vorliegend). Die von der Beklagten eingereichten AGB für Dienstleistungen legen in Ziffer 8.1 und 8.2 fest: „Soweit im Dienstleistungsvertrag nichts Abweichendes geregelt ist, geht das Dienstleistungsresultat nicht in das Eigentum des Kunden über. Der Kunde hat jedoch das nicht übertragbare und nicht ausschliessliche Nutzungsrecht daran. Ohne anderslautende Vereinbarung stehen die gewerblichen Schutzrechte am Dienstleistungsresultat ausschliesslich [der Beklagten] zu.“

bb) Mit der Schutzschrift hatte die Beklagte zwei Einzelverträge eingereicht, in welchen die Regelung der „Eigentumsverhältnisse“ fehlt.

4. Zu den Parteivorträgen

a) Gemäss Klägerin habe sie (u.a.) die vorstehend erwähnten Softwareprogramme bei der Beklagten in Auftrag gegeben, um – basierend auf der sogenannten „Standardlösung GeSoft“ – spezifische Lösungen den Gemeinden des Kantons X anbieten zu können (zur Zeit sind offenbar etwa 40 Gemeinden unter Vertrag). Für die entsprechende Software habe die Klägerin einen Preis gezahlt und sie habe die ausschliesslichen Nutzungsrechte eingeräumt erhalten. Im Nachtrag zum Dachvertrag sind unter Ziffer 3 die „Elemente“ der Lösungen (nicht abschliessend) aufgezählt: Xer Steuern, Steuerveranlagung, Einwohnerkontrolle, Finanzbuchhaltung, Debitorenbuchhaltung, Lohnwesen, Gebühren- und Werkabrechnung, Schalterrechnungen, Kreditorenbuchhaltung, Kataster, Inventarprogramme, Wahlen sowie drei Programme für die Gemeinde M. Gemäss Klägerin soll auch die Auflistung gemäss Rechtsbegehren nicht abschliessend sein. Allerdings blieben die Vorbringen diesbezüglich unsubstantiiert und damit unbeachtlich, wie auch ein Wort wie „mindestens“ mangels Bestimmtheit nicht zum Gegenstand eines Dispositivs gemacht werden kann. Wie die Klägerin weiter ausführte, seien die Individual-Softwareentwicklungen für die Aufgabenerfüllung der angeschlossenen Gemeinden zwingend erforderlich. Deshalb verletze die Beklagte die Nutzungsrechte der Klägerin, wenn sie den Xer Gemeinden ein Konkurrenzangebot mache bzw. die Klägerin konkurrenziere. Gemäss Klägerin hatten bei Stellung des Massnahmegesuchs 14 Gemeinden beschlossen, die neue Lösung zu wählen, für den Rest werde noch die „alte“ Lösung zur Verfügung gestellt. Mindestens 6 Gemeinden seien zur Beklagten gewechselt. Diesbezüglich errechnet die Klägerin einen Ausfall für das Jahr 2012 von CHF 133 800. Die Wiederherstellung des vertragsgemässen Zustandes sei aufwendig. Deshalb habe die Klägerin ein zentrales Interesse daran, dass das vertragswidrige Verhalten der Beklagten sofort unterbunden werde.

b) Die Beklagte hatte in ihrer Schutzschrifteingabe behauptet, das Vertragswerk der Parteien sei strikt hierarchisch aufgebaut, mit dem Dachvertrag als oberster Instanz. In den Einzelverträgen sei jeweils auf die AGB der Beklagten für Dienstleistungen hingewiesen worden. Diese hielten fest, der Kunde erhalte nur ein einfaches Nutzungsrecht. Allerdings zitierte die Beklagte ihre eigenen AGBs unvollständig. Die fraglichen Bestimmungen 8.1 und 8.2 enthalten den Vorbehalt anderslautender Vereinbarungen. Die Beklagte stützte sich sodann auf Ziffer 13.1 des Dachvertrages, wonach das „geistige Eigentum an der Idee „Gemeindefachlösung“ bzw. an dem damit im Zusammenhang stehenden Know-how“ allein ihr zustünde, und auf Ziffer 13.2, wonach das „geistige Eigentum an Programmen … sowie anderen im Zusammenhang mit dem Projekt „Gemeindefachlösung X““ von ihr generierten Materialien ausschliesslich ihr zustünden. Sodann wies sie auf Ziffer 3.2 des Dachvertrages hin, worin im Rahmen der Definition des Dachvertrages vereinbart wurde, dass der Dachvertrag bei Unklarheiten der darunter geschlossenen Nachträge bzw. Vereinbarungen als Auslegungshilfe diene und im Übrigen sämtlichen widersprechenden Vertragsbestimmungen vorgehe. Angesichts dessen stellte sich die Beklagte auf den Standpunkt, ihr stünden die Rechte an der gesamten zur Diskussion stehenden Software zu. Die später von der Klägerin eingelegten Einzelverträge mit den von jener angerufenen Klauseln thematisierte die Beklagte in der Schutzschrifteingabe nicht.

In der Massnahmeantwort gab die Beklagte eine Übersicht ihrer wesentlichen Argumente, welche sie danach im Einzelnen darlegte (vgl. dazu Ziff. 5 nachstehend):

Zunächst wurde Nichteintreten beantragt, weil das Rechtsbegehren nicht genügend bestimmt sei und weil kein Rechtsschutzinteresse bestehe.
Für den Fall des Eintretens sei Verwirkung des Anspruches auf vorsorglichen Rechtsschutz anzunehmen.
Sodann sei die Klägerin nicht Inhaberin der geltend gemachten Urheberrechte.
Auch existiere für den Anspruch keine vertragliche Grundlage.
Sodann bestehe kein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil, höchstens ein quantifizierbarer Schaden, der leicht ersetzbar sei.

5. Entscheidgründe

5.1 Nach Ansicht der Beklagten verstösst das gestellte Rechtsbegehren gegen das Bestimmtheitsgebot. Das Gebot wird vom Bundesgericht folgendermassen umschrieben: „Unterlassungsklagen müssen auf das Verbot eines genau umschriebenen Verhaltens gerichtet sein. Die verpflichtete Partei soll erfahren, was sie nicht mehr tun darf, und die Vollstreckungs- oder Strafbehörden müssen wissen, welche Handlungen sie zu verhindern oder mit Strafe zu belegen haben. Werden diese Behörden mit der Behauptung angerufen, der Beklagte habe eine ihm untersagte Handlung trotz des Verbots des Zivilrichters erneut begangen, haben sie einzig zu prüfen, ob die tatsächliche Voraussetzung erfüllt ist; dagegen haben sie das Verhalten nicht rechtlich zu qualifizieren (BGer 4A_207/2010). Allerdings sind auch Rechtsbegehren nach dem Vertrauensprinzip auszulegen (Johann Zürcher, Der Einzelrichter am Handelsgericht, Zürich 1998, S. 121). Die im Rechtsbegehren genannten Programme wurden von der Beklagten entwickelt. Sie kann deshalb nicht ernsthaft behaupten, sie wisse nicht, was verboten werden soll. Wieso eine weitere Spezifikation (genannt wurden Source- und Objekt-Codes, Dateien, Versionsnummer, Datum) notwendig sein soll, lässt die Beklagte im Dunkeln. Eine substantiierte Behauptung, wonach sie die betreffende Software im Rahmen ihrer Konkurrenztätigkeit nicht verwendet bzw. verwenden will, fehlt in den Vorbringen der Beklagten. Vielmehr äusserte sie sich in der Schutzschrifteingabe dahingehend, ihr drohe ein schwerwiegender Nachteil, nämlich der Wegfall von Gebühren, wenn sie einzelne „Module“ oder „Schnittstellen“ vorläufig einstellen müsste. Ebenfalls genügend konkret ist die Wendung „Einräumung von Nutzungsrechten zu Gunsten Dritter“. Die Beklagte geht selber davon aus, an den im Rechtsbegehren genannten Programmen bestehe ein Urheberrecht. Sie lässt sich — wie erwähnt — für das Zurverfügungstellen besagter Programme entschädigen. Folglich räumt sie Nutzungsrechte ein. Dies wäre selbstredend auch bei einer Gratislizenz so.

5.2 Die Beklagte stellt das Rechtsschutzinteresse der Klägerin [Anmerkung: sic]. Diese wolle nur eine Konkurrentin ausschalten. Es gehe der Klägerin nicht darum, das behauptete Ausschliesslichkeitsrecht durchzusetzen; vielmehr wolle sie die Kunden dazu veranlassen, diese Software nicht mehr zu benützten und auf die Lösung des neuen Partners umzusteigen. Die klägerischen Investitionen in die, strittige Software seien längst amortisiert. Auch diese Argumente verfangen nicht. Das Trachten nach dem „Ausschalten“ einer Konkurrentin ist dem freien Wettbewerb immanent. Wer dabei ein rechtsstaatliches Verfahren anstrengt und sich auf eingeräumte Rechte beruft, die ihm direkt oder indirekt zum Vorteil gereichen sollen, der handelt grundsätzlich mit einem schützenswerten Interesse und auch der Vorwurf des Rechtsmissbrauches darf nicht — wie vorstehend — leichthin erhoben werden.

5.3 Sodann wendet die Beklagte ein, es bestehe keine (relative) Dringlichkeit, die Klägerin habe rund ein Jahr mit der Stellung des Begehrens zugewartet. Erfahrungsgemäss dauern strittig geführte Auseinandersetzungen im Bereich des Immaterialgüterrechtes zwei bis drei Jahre, bei Notwendigkeit eines Beweisverfahrens länger (vgl. Zürcher, a.a.O., S. 89). Hätte die Klägerin schon im Januar 2011 einen ordentlichen Prozess eingeleitet, würde dieser folglich bis etwa 2013/2014 dauern. Von daher besteht schon noch eine gewisse und damit genügende Dringlichkeit bezüglich des gestellten Begehrens.

5.4 Bezüglich der materiellen Anspruchsgrundlagen erhebt die Beklagte verschiedene Einwendungen.

5.4.1 Unter dem Titel „Vorrang des Dachvertrags“ beruft sich die Beklagte auf dessen Ziffer 13.2, wonach das geistige Eigentum an Programmen usw. der Beklagten zustehe. Diese Bestimmung sei in Zusammenhang mit Ziffer 3.2 des Dachvertrages zu lesen, welche diesen definiere und ihn „sämtlichen widersprechenden Vertragsbestimmungen“ vorgehen lasse. Abgesehen davon, dass solche Klauseln betreffend Vorrang eines Vertrages gegenüber einem anderen auch durch Konsens aufgehoben werden können, greift die Bestimmung zumindest bei einer Auslegung nach Treu und Glauben nicht. Im Rahmen der Vertragsfreiheit steht es jedem Rechtsgenossen frei, über seine Rechte zu verfügen. Wenn mithin die Beklagte als Urheberin der durch sie entwickelten Programme anzusehen war, so untersagte ihr das Primat des Dachvertrages keineswegs, später im Sinne von Art. 16 URG Rechte zu übertragen. Sodann besteht das Urheberrecht nach tradierter Auffassung aus nicht übertragbaren Persönlichkeitsrechten und übertragbaren Vermögensrechten, die sich aus der Urheberschaft ableiten lassen (Hilty, Urheberrecht, Bern 2011, S. 126, Rz. 149). Von daher regelt der Dachvertrag vermutungsweise die Urheberschaft, jedoch nicht die Übertragung von Vermögensrechten.

5.4.2 Sodann macht die Beklagte geltend, in den Einzelverträgen seien keine Urheberrechte übertragen worden. Die Beklagte habe nie den Willen gehabt, Eigentum an den von ihr geschaffenen Urheberrechten zu übertragen. Die entsprechenden ausführlichen Darlegungen der Beklagten sind insofern nicht zielführend, als der Grundsatz von Art. 16 Abs. 1 URG („Das Urheberrecht ist übertragbar und vererblich“) verschiedene Ausgestaltungen zulässt, so die eigentliche Übertragung des Rechts bzw. Leistungsschutzrechts oder die Lizenzierung (Hilty, a.a.O., S. 229, Rz. 253). Auf letztere Rechtsfigur kommt die Beklagte zu sprechen, indem sie einen inneren Willen (vgl. Fettdruck sub 3.d/aa) behauptet, gemäss welchem die Beklagte sich damit lediglich zu einem sachlich beschränkten Konkurrenzverbot verpflichtet habe. Es sei ihr bloss untersagt, einer Konkurrentin der Klägerin (ausser der Gemeinde M) oder Nicht-Mitgliedern der Klägerin ebenfalls zeitlich unlimitierte Nutzungsrechte mit dem Recht zur Unterlizenzierung einzuräumen. Das sei mit dem Wort „verkaufen“ gemeint gewesen. Dem widersprach die Klägerin in der Replik. Tatsächlich sind die Ausführungen der Beklagten zu Konsens bezüglich der strittigen Klausel (tatsächlich oder normativ) nur schwer verständlich. Im vorliegenden Verfahren muss es bei der Auslegung (nach Treu und Glauben) sein Bewenden haben. Der erste Satz trägt schwergewichtig das Wort „Lizenzrecht“. Das deutet klar auf eine Lizenzierung hin (zur Lizenz im Urheberrecht vgl. ganz allgemein Hilty, a. a. 0. S. 261 ff., Rz. 288 ff.). Das Wort „gehört“ lässt vermuten, es handle sich um eine ausschliessliche Lizenz (Hilty, a.a.O., S. 265, Rz. 290). Der zweite Satz ist so auszulegen, dass die Lizenz bezüglich des Kantons X eine „alleinige“ ist (zum Begriff Hilty, a.a.O., S. 265, Rz. 290), die Beklagte mithin im Kanton X die betreffenden Programme nicht nutzen darf (ohne Einverständnis der Klägerin bzw. bezüglich der Programme „Steuergesetzrevision …“ und „Wünsche ERFA-X“ auch der Gemeinde M). Das Wort „verkaufen“ ist demnach als „Lizenzgewährung“ zu lesen. Gesamthaft erscheint es glaubhaft, dass es der Beklagten gestützt auf die besagte Klausel nicht erlaubt ist, ohne Einverständnis der Gegenseite(n) die im Rechtsbegehren genannten Programme für Kunden im Kanton X zu nutzen, was sie offensichtlich macht bzw. vorhat. Unter Nutzung ist jegliches Zugänglichmachen zu verstehen. Diese Auslegung steht im Übrigen auch im Einklang mit den AGB der Beklagten für Dienstleistungen, welche abweichende Spezialabmachungen bezüglich „Eigentum und Schutzrechte“ ausdrücklich vorbehalten (AGB-D, Ziffer 8).

5.5 Die Beklagte erhebt weiter den Kartelleinwand. Sie macht geltend, die Parteien seien nunmehr Konkurrentinnen. Deshalb müsse die fragliche Klausel als Gebietsabrede betrachtet werden (Art. 5 Abs. 3 lit. c KG). Gemäss Art. 3 Abs. 2 KG sind allerdings Wettbewerbswirkungen, die sich ausschliesslich aus der Gesetzgebung über das geistige Eigentum ergeben, von der Anwendung des KG ausgeschlossen. Als Urheberin kann die Beklagte mithin Dritten die Nutzung verbieten. In gleichem Sinne muss das für eine Lizenznehmerin gelten, wobei die Alleinlizenz dann auch die Lizenzgeberin trifft. Der Einwand sticht nicht.

5.6 Der implizit erhobene Einwand des Rechtsmissbrauches kann ebenfalls nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Die Lizenz ist nicht befristet. Solches wird auch nicht geltend gemacht. In den Einzelverträgen war eine Abgeltung vereinbart worden. Es ist davon auszugehen, diese habe eine adäquate Gegenleistung für die Bemühungen und den Verzicht auf Nutzung der Software im Kanton X dargestellt. Damit bleibt kein Raum, wegen veränderter Verhältnisse, die grundsätzlich nicht unvorhersehbar waren, ein Recht nicht mehr gelten zu lassen.

5.7 Die Beklagte machte schliesslich geltend, es bestehe kein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil. Eine „Rückführung“ der Kundenbeziehungen sei leicht zu bewerkstelligen, ein Schadenersatzanspruch sei konkret stell- und durchsetzbar. Die Nachteilsdiskussion ist bekanntlich eine schwierige (Johann Zürcher, DIKE-Komm-ZPO, Art. 261 N. 18). Vorliegend ist allerdings massgeblich, dass es um die Nutzung eines absoluten Rechtes geht. Zwar ist die Klägerin gemäss vorgenommener Auslegung lediglich Lizenznehmerin, jedoch ist Gegenstand der Lizenz ein absolutes Recht, weshalb sie grundsätzlich wie die Inhaberin des Rechtes zu behandeln ist. Der Gesetzgeber ist bei der Verletzung absoluter Rechte sehr grosszügig mit der Bejahung des relevanten Nachteils (Botschaft ZPO,S. 7354). Tatsächlich ist der Genuss der Rechtsausübung als solcher nicht wiedergutmachbar, weil man Zeit nicht zurückgeben kann (Zürcher, a.a.O., Art. 261 N. 26). Der Ausgleich durch Geld stellt nur eine relative Wiedergutmachung dar. Gerade in casu dürfte es auch nicht einfach sein, einmal verlorene Kunden wieder zurückzugewinnen, zumal nicht auszuschliessen ist, dass es andere Softwarelösungen für die relevanten Probleme gibt. Von daher ist das Vorliegen eines relevanten Nachteils zu bejahen.

5.8 Damit sind die Voraussetzungen für den Erlass vorsorglicher Massnahmen erfüllt (Art. 261 Abs. 1 ZPO). Gemäss Art. 261 Abs. 2 ZPO kann das Gericht von vorsorglichen Massnahmen absehen, wenn die Gegenseite angemessene Sicherheit leistet. Einen solchen Antrag hat die Beklagte gestellt. Allerdings hat sie keinen Betrag genannt, obwohl dies gestützt auf die Angaben der Klägerin und der eigenen Angaben möglich gewesen wäre. Zudem bestehen für die Klägerin nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Nachteile, da ein Eingriff in ein absolutes Recht vorliegt (auch wenn es auf vertraglicher Basis beruht). In diesen Konstellationen kommt ein Absehen von der Anordnung nicht in Frage, zumal selbst eine Schadensschätzung schwierig werden dürfte (vgl. Johann Zürcher, DIKE-Komm-ZPO, Art. 261 N. 37). Immerhin ist aus Gründen der Verhältnismässigkeit und im Hinblick auf eine mögliche Anfechtung des Entscheides und der Stellung eines Gesuches betreffend aufschiebende Wirkung (Art. 103 BGG) die Wirkung der Massnahme um 30 Tage aufzuschieben. Der Klägerin ist sodann Frist zur Anhängigmachung des Prozesses in der Hauptsache anzusetzen (Art. 263 ZPO).

5.9 Sodann stellte die Beklagte den Antrag, bei Anordnung von Massnahmen sei der Klägerin eine Sicherheitsleistung von mindestens rund CHF 1,175 Mio. aufzuerlegen. Die Schadensschätzung der Beklagten ist sehr summarisch gehalten, vor allem was die Kosten der Neuakquisition (CHF 690 000) nach Abschluss des Hauptverfahrens anbelangt. Es erscheint angemessen, in Anwendung von Art. 264 Abs. 1 ZPO einstweilen eine Sicherheit von CHF 400 000 zu verlangen (bzgl. Art und Höhe ist Art. 100 ZPO analog anzuwenden).

5.10 Bei den Prozesskosten ist gestützt auf Art. 104 Abs. 3 ZPO die definitive Regelung bezüglich der Verteilung dem Entscheid des Hauptsachegerichtes vorzubehalten. Nur für den Fall, dass die Anordnung wegen Nichtanhängigmachens des Prozesses in der Hauptsache oder wegen Nichtleistung der Sicherheit dahinfällt, ist eine definitive (wenn auch bedingte) Anordnung zu treffen. Die gerichtliche Streitwertschätzung von CHF 500 000 blieb unbestritten.

Der Einzelrichter erkennt:

1. Der Beklagten wird mit Wirkung nach Ablauf von 30 Tagen seit Erhalt des Entscheides verboten, die folgenden Software-Individual-Programme

für Kunden im Kanton X kommerziell zu nutzen, einschliessend die Einräumung von Nutzungsrechten zu Gunsten Dritter, dies unter der Androhung der Straffolgen von Art. 292 StGB gegenüber ihren Organen (Bestrafung mit Busse).

2. […].“

Einzelgericht des Handelsgerichtes Urteil vom 20. April 2012 (HE120020)

Quelle: ZR 111 (2012), S. 177 ff.