Urteil des Bundesgerichts vom 19. Dezember 2007 / 4A_331/2007 /len

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Nicht amtliche Leitsätze:
Grundlagen für Begehren auf Dokumentation und Auskunftserteilung bei einem (allerdings „nicht klassischen“) Lizenzvertrag (Erwägung 2), inbesondere aufgrund von Treu und Glauben (Erwägung 2.4).

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG (Beschwerdeführerin) ist in erster Linie mit dem Erwerb, der Verwaltung und Verwertung von Immaterialgüterrechten im Bereich der modernen Finanzmarktökonomie und -informatik im In- und Ausland beschäftigt und gemäss ihrer Sachdarstellung Teil der X.________-Gruppe. Die Y.________ AG (Beschwerdegegnerin) befasst sich primär mit der Entwicklung und dem Vertrieb von Produkten sowie der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Finanzinformationen.
Die Parteien pflegten seit 1991 Vertragsbeziehungen. Zuletzt schlossen sie am 8. Februar 2000 einen Vertrag betreffend die Wartung und den Vertrieb des „A.________ Data Model“ („A.________ Data Model“-Vertrag). Gegenstand dieses Vertrags ist das „A.________ Data Model“, ein logisches oder abstraktes Datenmodell. Von entscheidender Bedeutung für die Auseinandersetzung zwischen den Parteien ist das Datenübermittlungsmodell „B.________ Data Feed“.
Der „A.________ Data Model“-Vertrag enthält zusammengefasst u.a. folgende Regelungen:
Ziff. 1 hält fest, dass die Parteien gemeinsam Eigentümer des „A.________ Data Model“ sind und der Vertrag „die gegenseitigen Rechte und Pflichten, unter denen dieses Datenmodell am Markt angeboten und gewartet wird, sowie alle anderen Rechtsverhältnisse unter den Parteien betreffend das „A.________ Data Model“ regelt.
In Ziff. 2.1 Abs. 1 wird präzisiert, dass die Parteien Eigentümer bzw. Inhaber sämtlicher Eigentums-, Urheber- und sonstiger Leistungsschutzrechte des bzw. am „A.________ Data Model“ sind. Gemäss Ziff. 2.1 Abs. 3 ist es den Parteien untersagt, über das „A.________ Data Model“ anders als im Vertrag vorgesehen eigentums- oder urheberrechtlich oder sonst wie zu verfügen.
In Ziff. 2.2 räumen sich die Parteien gegenseitig ein zeitlich unbegrenztes, nicht übertragbares, nicht ausschliessliches und unentgeltliches Lizenzrecht am „A.________ Data Model“ zur Eigennutzung ein.
Ziff. 2.3 bestimmt, dass das „A.________ Data Model“ von beiden Parteien auf eigene Rechnung und in eigenem Namen unter den Bedingungen des Vertrags an alle Arten von Unternehmen lizenziert werden kann.
In Ziff. 3.1 verpflichten sich die Parteien unter dem Titel „Grundsatz betreffend Geheimhaltung und Lizenzpflicht“, das Datenmodell geheim zu halten und nur gegenüber Kunden offenzulegen, die entweder eine entgeltliche „A.________ Data Model“-Lizenz gemäss Ziff. 4 erworben oder im Rahmen von Verkaufsgesprächen eine Geheimhaltungsverpflichtung unterzeichnet haben.
Ziff. 3.2 steht unter dem Titel „Ausnahmen von der Lizenzpflicht“ und erklärt in Abs. 1 die Parteien für berechtigt, Dienstleistungen bzw. Produkte, die auf dem „A.________ Data Model“ basieren – wie beispielsweise das „B.________ Data Feed“ der Beschwerdegegnerin – im Rahmen dieses Vertrags (im besonderen der Ziff. 3 und 4) zu vertreiben, ohne dass die Kunden eine „A.________ Data Model“-Lizenz erwerben müssen, um diese Dienstleistungen bzw. Produkte vertragsgemäss nutzen zu dürfen. Dies ist der Fall, wenn die Dienstleistungen und Produkte einerseits an gut sichtbarer Stelle als auf dem „A.________ Data Model“ basierend bezeichnet werden und wenn anderseits im Rahmen von Verträgen oder den Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit solchen Kunden festgehalten wird, dass die gelieferten Daten vom Kunden ausschliesslich dazu verwendet werden dürfen, diese in einer Datenbank mit einer bestehenden bzw. eindeutig anderen Struktur abzubilden. Gemäss Abs. 2 hat die Beschwerdegegnerin den Inhalt von Anhang 6 in ihre Verträge bzw. die Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufzunehmen und die Restriktionen bei ihren Kunden durchzusetzen.
Ziff. 4 handelt von der Lizenzierung des „A.________ Data Model“ und Ziff. 4.3.4 von der Bruttoerlösaufteilung. Demnach erhalten von den Bruttoerlösen, welche die Beschwerdegegnerin erzielt, die Beschwerdegegnerin 15 % und die Beschwerdeführerin 85 %. Die von der Beschwerdeführerin erzielten Bruttoerlöse gehen zu 100 % an die Beschwerdeführerin.
Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, dass die Beschwerdegegnerin den „A.________ Data Model“-Vertrag vom 8. Februar 2000 verletzt habe und ihr daher Schadenersatzansprüche gegen die Beschwerdegegnerin zustünden, die sie – mit einer Ausnahme – noch nicht beziffern könne, bevor nicht die Beschwerdegegnerin ihre Auskunfts- und Dokumentationspflicht erfüllt habe.

B.
Am 11. April 2005 reichte die Beschwerdeführerin beim Handelsgericht des Kantons Zürich Klage ein und stellte folgendes Rechtsbegehren (gemäss Replik):
1. Die Beschwerdegegnerin sei unter Androhung von Ungehorsamstrafe im Widerhandlungsfall gemäss Art. 292 StGB zu verpflichten, der Beschwerdeführerin Kopien sämtlicher seit dem 8. Februar 2000 von der Beschwerdegegnerin
a) mit Kunden abgeschlossener Verträge (inkl. die darin als Vertragsbestandteile bezeichneten Dokumente) betreffend (i) den von ihr vertriebenen „B.________ Data Feed“ oder von Teilen davon resp. (ii) die entsprechende Dokumentation, insbesondere sämtliche Abonnementsverträge sowie die darauf Anwendung findenden
– ‚Allgemeine(n) Geschäftsbedingungen (AGB), Telekurs C.________‘
– ‚Besondere(n) Bedingungen für Telekurs „B.________ Data Feed“, Telekurs C.________‘
b) mit Drittparteien, insbesondere Softwareentwicklungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen abgeschlossener Vereinbarungen (inkl. die darin als Vertragsbestandteile bezeichneten Dokumente), die (i) die Zurverfügungstellung des „B.________ Data Feed“ oder von Teilen davon resp. (ii) von entsprechender Dokumentation durch die Beschwerdegegnerin zum Gegenstand haben und die es den Vertragspartnern ermöglichen, die Integration des „B.________ Data Feed“ in eigene resp. (Software-)Produkte Dritter vorzunehmen und die so entwickelten Produkte zu eigenen Zwecken zu verwenden oder zu vermarkten
c) mit Kunden abgeschlossener Lizenz- und anderer Vereinbarungen (inkl. die darin als Vertragsbestandteile bezeichneten Dokumente) betreffend die Nutzung des Valoren-Datenmodells „A.________ Data Model“
d) mit Kunden im Rahmen von Verkaufsgesprächen abgeschlossener Geheimhaltungsvereinbarungen zu übergeben, bezüglich lit. a bis c unter Angabe der Mitarbeiterzahl eines jeden einzelnen Kunden / einer jeden einzelnen Vertragspartei zum Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses.
2. Die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, der Beschwerdeführerin Fr. 34’000.– zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 18. Oktober 2000 zu bezahlen. Das Nachklagerecht wird ausdrücklich vorbehalten.
3. Nach Erlass eines (Teil-)Urteils gemäss Ziff. 1 und 2 sei der Beschwerdeführerin Frist anzusetzen zur Erstattung der bezifferten (Nach-)Klage.
Mit Urteil vom 28. Juni 2007 wies das Handelsgericht die Klage ab.

C.
Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Handelsgerichts aufzuheben und entsprechend den vorinstanzlich gestellten Begehren (Ziffern 1 und 2) zu verfahren. Eventualiter sei die Streitsache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie vollumfänglich abzuweisen und das Urteil des Handelsgerichts zu bestätigen. Die Vorinstanz verzichtete auf eine Vernehmlassung.
Am 11. Dezember 2007 reichte die Beschwerdeführerin unaufgefordert eine Stellungnahme zur Beschwerdeantwort der Beschwerdegegnerin ein.

Erwägungen:

1. (…)
2.
Die Beschwerdeführerin machte im vorinstanzlichen Verfahren geltend, zur Bezifferung ihrer Schadenersatzansprüche wegen Vertragsverletzungen der Beschwerdegegnerin auf Dokumentation und Auskunftserteilung angewiesen zu sein. Die entsprechende Pflicht der Beschwerdegegnerin zur Dokumentation und Auskunftserteilung ergebe sich aus der Informations- und Dokumentationspflicht gemäss Ziff. 9 Abs. 3 und 4 „A.________ Data Model“-Vertrag, aus dem Kontrollrecht des Lizenzgebers, aus dem Kontrollrecht des Gesellschafters und aus Treu und Glauben. Die Vorinstanz lehnte das Begehren auf Dokumentation und Auskunftserteilung gestützt auf alle vier angerufenen Anspruchsgrundlagen ab.

2.1 Ziff. 9 Abs. 3 und 4 „A.________ Data Model“-Vertrag lautet wie folgt:
3 Die Parteien unterrichten einander jeweils binnen Monatsfrist über folgende Ereignisse:
– über die Unterzeichnung einer „A.________ Data Model“-Geheimhaltungserklärung
– über die Unterzeichnung eines „A.________ Data Model“-Lizenzvertrages.
4 Die Parteien orientieren sich gegenseitig periodisch über ihre Vermarktungsbemühungen. Jede Partei lässt der anderen jeweils eine Kopie der von ihr abgeschlossenen Lizenzverträge zukommen.
Die Vorinstanz stellte fest, aufgrund dieser Vertragsbestimmung ergebe sich einerseits eine Informationspflicht bezüglich der Unterzeichnung von „A.________ Data Model“-Geheimhaltungserklärungen bzw. „A.________ Data Model“-Lizenzverträgen und der Vermarktungsbemühungen sowie eine Dokumentationspflicht bezüglich abgeschlossener Lizenzverträge. Indem sie den Inhalt dieser Vertragsbestimmung so definierte, stellte sie den tatsächlichen übereinstimmenden Parteiwillen fest, hielt sie doch unter Hinweis auf die Rechtsschrift der Beschwerdeführerin fest, dass diese es auch so sehe. Es war demnach nicht nötig, eine Vertragsauslegung nach dem Vertrauensprinzip vorzunehmen. Somit stösst der von der Beschwerdeführerin diesbezüglich erhobene Vorwurf der Verletzung bundesrechtlicher Auslegungsregeln ins Leere. Dass die Vorinstanz über die „Vorgeschichte und die Interessenlage der Parteien“ keine Beweise abnahm und nicht von einer Lücke ausging, wie die Beschwerdeführerin erstmals vor Bundesgericht vorbringt, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden, da angesichts des übereinstimmend festgestellten Vertragsinhalts kein Anlass dazu bestand. Auf die diesbezüglichen Ausführungen der Beschwerdeführerin ist demnach nicht weiter einzugehen. Unbegründet sind auch die in diesem Zusammenhang ebenfalls erhobenen Vorwürfe einer Verletzung von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG und von Art. 8 ZGB. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid die Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art dargelegt und bezüglich des Inhalts von Ziff. 9 Abs. 3 und 4 „A.________ Data Model“-Vertrag gerade keine Beweislosigkeit angenommen. Die Vorinstanz folgerte aufgrund des festgestellten Vertragsinhalts demnach zu Recht, dass die Herausgabe der Verträge und Vereinbarungen samt dazugehöriger Dokumente, wie sie die Beschwerdeführerin in ihren Rechtsbegehren Ziff. 1a) und 1b) sowie teilweise in Ziff. 1c) verlangte, sich nicht auf Ziff. 9 Abs. 3 und 4 „A.________ Data Model“-Vertrag stützen lasse.
Betreffend die mit Rechtsbegehren Ziff. 1c) verlangte Herausgabe von mit Kunden abgeschlossenen Lizenzverträgen anerkannte die Vorinstanz, dass sich eine entsprechende Herausgabepflicht aus Ziff. 9 Abs. 4 „A.________ Data Model“-Vertrag ergebe. Indessen nahm sie an, dass die Beschwerdegegnerin, wie von ihr geltend gemacht, keine solchen Lizenzverträge abgeschlossen hatte und besitze, womit sie auch nicht zu entsprechender Herausgabe verpflichtet werden könne. Die Beschwerdeführerin rügt in diesem Zusammenhang eine Verletzung von Art. 8 ZGB, indem die Vorinstanz den Beweis für den Abschluss von „A.________ Data Model“-Lizenzverträgen der Beschwerdeführerin auferlegt habe. Der Vorwurf ist unbegründet. Da die Beschwerdeführerin die Herausgabe besagter Verträge verlangte und daraus Ansprüche ableiten will, hat ihr die Vorinstanz zu Recht die diesbezügliche Behauptungs- und Beweislast auferlegt. Im Übrigen kam die Beschwerdeführerin bereits einer gehörigen Substantiierung nicht nach, stellte sie doch gemäss Vorinstanz keine tatsächlichen Behauptungen auf, dass sich die herausverlangten Dokumente effektiv bei der Beschwerdegegnerin befänden, bzw. dass diese mit bestimmten Kunden Lizenzverträge abgeschlossen und nun im Besitz habe. Deshalb konnte darüber nicht Beweis geführt werden.
(…)

2.2 Die Vorinstanz verneinte ein Kontrollrecht der Beschwerdeführerin aus Gesellschaftsvertrag, da sie im „A.________ Data Model“-Vertrag keine gesellschaftsrechtlichen Elemente erblicken konnte, die Anlass gäben, aus Art. 541 OR abzuleitende Kontrollrechte der Beschwerdeführerin anzuwenden.
(…).

2.3 Die Vorinstanz gelangte weiter zum Schluss, dass der „A.________ Data Model“-Vertrag kein „klassisches“ Lizenzvertragsverhältnis zwischen den Parteien begründe und daher aufgrund von Struktur und Inhalt dieses Vertrags kein Anlass bestehe, neben den ausdrücklich geregelten Informations- und Kontrollrechten in Ziff. 9 Abs. 3 und 4 eine weitergehende, speziell lizenzvertragliche Abrechnungspflicht bzw. ein besonderes, lizenzvertragliches Kontrollrecht anzunehmen.
(…).

2.4 Die Vorinstanz ging davon aus, dass bei Anerkennung eines sich aus Treu und Glauben ergebenden Informationsanspruchs dieser jedenfalls von einer rechtlichen Sonderbeziehung und einem berechtigten Informationsinteresse abhängig zu machen sei. In casu verneinte sie einen Informationsanspruch gestützt auf Treu und Glauben im Wesentlichen mit der Begründung, für „A.________ Data Model“-Lizenzverträge bestehe schon aufgrund von Ziff. 9 Abs. 3 und 4 „A.________ Data Model“-Vertrag eine (vertragliche) Informations- und Dokumentationspflicht, so dass ein präparatorisches Informationsrecht gar nicht erst bemüht werden müsse. Für „B.________ Data Feed“-Verträge ohne Lizenzpflicht sei zudem gerade keine Aufteilung des Erlöses vorgesehen, weshalb kein berechtigtes Informationsinteresse der Beschwerdeführerin bestehe. Das Risiko, dass die Beschwerdegegnerin die Bedingungen nicht einhalten könnte, unter denen sie mit Kunden lizenzfreie Verträge abschliessen dürfe, sei schon bei Vertragsabschluss offensichtlich gewesen und habe den Parteien bewusst sein müssen. Wenn sie unter diesen Umständen davon abgesehen hätten, die ausdrücklich geregelten Informationspflichten auch darauf zu erstrecken, hätten sie dieses Risiko bewusst in Kauf genommen. Es rechtfertige sich daher umso weniger, aus Treu und Glauben eine umfassende Informationspflicht abzuleiten.
Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden. Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass ein Informationsanspruch gestützt auf Treu und Glauben von vornherein keinen Raum hat, soweit die Parteien vertragliche Informationsansprüche vereinbarten oder bewusst zu vereinbaren unterliessen. Die Beschwerdeführerin vermag keine Bundesrechtsverletzung darzutun, indem sie ausführt, wie nach ihrer Interpretation die Vertragsabwicklung vorgesehen worden sei und welche Schlüsse daraus gezogen werden müssten.

3. (…), 4. (…), 5. (…).

4A_331/2007 /len
Quelle: www.bger.ch