Entscheid der 1. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 1. Dezember 2014/ ZK 14 468

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Amtliche Leitsätze:

  • Art. 82 Abs. 2 SchKG, Basler Rechtsöffnungspraxis
  • Bei einer geltend gemachten Schlechterfüllung der Gegenleistung eines zweiseitigen Vertrages sind die Einwendungen nicht bloss vorzutragen (im Sinne einer reinen Behauptung), sondern substanziiert zu behaupten (was faktisch einer Glaubhaftmachung gleichkommt)

[…]

Erwägungen:
[…]
IV.
1. Gemäss Art. 82 Abs. 2 SchKG hat der Richter die Rechtsöffnung auszusprechen, sofern der Betriebene nicht Einwendungen, welche die Schuldanerkennung entkräften, sofort glaubhaft macht. Glaubhaft gemacht ist die Einwendung, wenn sie nicht bloss behauptet wird, sondern mit geeigneten Beweismitteln so weit belegt ist, dass sie, ohne bewiesen zu sein, als überwiegend wahrscheinlich erscheint (Urteil BGer 5A_845/2009 vom 16. Februar 2010 E. 6.1).
2. Nach der von Lehre und Praxis anerkannten „Basler Rechtsöffnungspraxis“ sind bei zweiseitigen Verträgen – zu denen auch der vorliegende Vertrag zählt – die Beweisanforderungen an die Geltendmachung von Einwendungen weiter herabgesetzt. Im Unterschied zur üblichen Einredeordnung gemäss Art. 82 Abs. 2 SchKG braucht der Schuldner die nicht gehörige Erbringung der Gegenleistung lediglich zu behaupten und nicht etwa glaubhaft zu machen. Dabei geht es nicht um eine materiellrechtliche Einwendung gegen die Forderung, sondern um den von Amtes wegen zu prüfenden Bestand eines Rechtsöffnungstitels. Entsprechende Einwendungen aus synallagmatischen Verträgen bringen somit das Rechtsöffnungsverfahren ohne weiteres zu Fall, es sei denn, sie erweisen sich von vornherein als haltlos oder sie würden vom Gläubiger sofort durch Urkunden widerlegt (vgl. DANIEL STAEHELIN, in: STAEHELIN/BAUER/STAEHELIN [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, Art. 1 – 158 SchKG, 2. Auflage Basel 2010, N 99 ff. zu Art. 82 SchKG, insbesondere N 101). Die Basler Rechtsöffnungspraxis beruht auf Art. 82 OR, wonach bei vollkommen zweiseitigen Verträgen der Gläubiger den Schuldner erst zur Erfüllung anhalten darf, wenn er seinerseits erfüllt hat. Solange die Erfüllung seitens des Gläubigers nicht nachgewiesen ist, darf der Schuldner seine Leistung zurückbehalten (DANIEL STAEHELIN, in: STAEHELIN/BAUER/STAEHELIN [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, a.a.O., N 98 zu Art. 82 SchKG, mit weiteren Hinweisen).
3. Während es ohne weiteres einleuchtet, dass der Schuldner nur behaupten muss, der Gläubiger habe die ihm obliegende Gegenleistung gar nicht erbracht, da der Gläubiger hierfür ohnehin die Beweislast trägt, erscheint dies für die Einwendung der nicht gehörigen, d.h. nicht vertragsgemäss erbrachten Gegenleistung, weniger nahe liegend, da hierfür der Schuldner die Beweislast trägt, wenn er die Leistung angenommen hat (Art. 8 ZGB; DANIEL STAEHELIN, in: STAEHELIN/BAUER/STAEHELIN [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, a.a.O., N 105 zu Art. 82 SchKG, mit Verweis auf BGE 59 I 257 f). Die erwähnte Praxis läuft in diesen Fällen auf eine Verletzung der bundesrechtlichen Beweislastverteilung hinaus, indem dem Gläubiger aufgebürdet wird, die gehörige Erfüllung glaubhaft zu machen (vgl. DANIEL STAEHELIN, in: STAEHELIN/BAUER/STAEHELIN [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, a.a.O., N 105 zu Art. 82 SchKG). Dies würde sich häufig als illusorisch erweisen, da der Beweis im Summarverfahren in der Regel durch Urkunden zu erbringen ist (Art. 254 Abs. 1 ZPO). Der Wortlaut von Art. 82 Abs. 2 SchKG spricht zudem ausdrücklich davon, dass der Schuldner seine Einwendungen glaubhaft zu machen habe.
4. Ist der Schuldner bei nichtgehöriger Erfüllung auf Gewährleistungsansprüche verwiesen, ist die Anwendbarkeit von Art. 82 OR eingeschränkt. Ist die Vertragssache bereits abgeliefert worden, treten anstelle des Anspruches des Empfängers auf Ablieferung einer mängelfreien Sache die aus den Mängelrechten fliessenden Ansprüche auf Auflösung des Vertrages unter Rückgabe der Sache (Wandelung), Reduktion der Vergütung (Minderung) oder gegebenenfalls Nachbesserung. Entschliesst sich der Empfänger zur Wandelung, hat er genau besehen kein Zurückbehaltungsrecht, da diesfalls schon die Pflicht zur Leistung der Vergütung entfällt, und bei Minderung beschränkt sich das Zurückbehaltungsrecht auf den Minderwert der Vertragssache (ZINDEL/PULVER, in: HONSELL/VOGT/WIEGAND [Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Art. 1 – 529 OR, 5. Auflage 2011, N 12 zu Art. 372 OR). Es ist daher durchaus fraglich, ob die Basler Rechtsöffnungspraxis in einem Bereich, in dem Art. 82 OR nicht anwendbar ist, überhaupt ihre Berechtigung hat.
5. Wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat, läuft die strikte Handhabung der Praxis zudem Sinn und Zweck des Rechtsöffnungsverfahrens zuwider. Dieses soll dem Gläubiger, der über eine schriftliche Schuldanerkennung verfügt, die rasche Durchsetzung seiner urkundlich ausgewiesenen Forderung ermöglichen, während es dem Schuldner obliegt, die Mühen des ordentlichen Verfahrens einer Aberkennungsklage gemäss Art. 83 Abs. 2 SchKG auf sich zu nehmen, wenn er seine Einwendungen nicht sofort glaubhaft machen kann. Damit dient das Rechtsöffnungsverfahren auch der Verteilung der Parteirollen in einem nachfolgenden ordentlichen Verfahren. Die Klägerrolle soll derjenigen Partei zugewiesen werden, deren Prozesschancen im Stadium des Rechtsöffnungsverfahrens als geringer erscheinen. Eine Praxis, die blosse Behauptungen des Schuldners genügen lässt, läuft diesem Anliegen zuwider.
6. In ihren letzten Entscheiden haben die Zivilkammern des Obergerichts vor diesem Hintergrund offen gelassen, ob an der Basler Rechtsöffnungspraxis für die Einwendung der nicht gehörigen Erfüllung festzuhalten sei (vgl. Entscheide 1. ZK 13 140 vom 12. Juni 2013 E. III.3. und Entscheid 2. ZK 13 45 vom 25. März 2013 E. IV.2.: „…wenn [Hervorhebung hinzugefügt] man an der bewährten Basler Rechtsöffnungspraxis festhalten möchte,…“). In der Praxis ist den erwähnten Bedenken insofern Rechnung getragen worden, als vom Schuldner verlangt wurde, die nicht gehörige Erfüllung nicht nur zu behaupten, sondern substanziiert zu behaupten, ansonsten von der Haltlosigkeit seiner Behauptungen ausgegangen wurde. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass in der Praxis der Unterschied zwischen einer substanziierten Behauptung und Glaubhaftmachen gering sei (vgl. DANIEL STAEHELIN, in: STAEHELIN/BAUER/STAEHELIN [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung  und Konkurs I, a.a.O., N 105 zu Art. 82 SchKG.).
Substanziiert behaupten heisst die Tatsachen, die zur Begründung des eigenen Rechtsstandpunktes dienen, im Einzelnen darzulegen und nicht nur pauschal zu behaupten. Eine insgesamt plausible Sachdarstellung genügt diesen Anforderungen nicht. Die jeweiligen Anforderungen ergeben sich aus den Tatbestandsmerkmalen der angerufenen Norm. Notwendig ist die Darstellung sämtlicher Einzeltatsachen, welche die Subsumtion unter die angerufene Norm erlauben. Fehlt eine zur rechtlichen Beurteilung notwendige Tatsache und ergibt sie sich auch nicht implizit aus den übrigen vorgebrachten Tatsachen, ist der Einwendung kein Erfolg beschieden.
7. Im vorliegenden Fall haben die Parteien eine Vereinbarung über die Lieferung und Installation von Hard- und Software sowie über die Benutzerschulung getroffen. Dabei handelt es sich um einen gemischten Vertrag mit Elementen aus Kauf-, Werk- und Lizenzvertrag sowie Auftrag. Die rechtliche Behandlung eines solchen Vertrages ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zu beurteilen (BGE 124 III 456 E. 4b/bb). Die Beschwerdegegnerin hat die verschiedenen Systemkomponenten installiert, worauf der Beschwerdeführer diese in Betrieb genommen und die ganze Lieferung nach vier Wochen zurückgeschickt hat. Nach seiner Darstellung liegen die angeblichen Mängel somit nicht an der Hardware, sondern an der Konzeption der Software. Unklar ist, ob es sich bei dieser Software um ein von der Beschwerdegegnerin vertriebenes Standardprogramm handelt oder um ein eigens für den Beschwerdeführer entwickeltes Programm. Je nach dem ist auf die Mängelfolgen Werkvertrags- oder Kaufrecht anzuwenden (vgl. BGE 124 III 456 E. 4b/bb).
8. Wer Gewährleistungsansprüche ausüben will, hat rechtzeitig Mängelrüge zu erheben (Art. 201 Abs. 1, 367 Abs. 1 OR). Sie ist an keine bestimmte Form gebunden und kann auch mündlich erklärt werden, hat aber genau anzugeben, inwiefern die Sache den vertraglichen Abmachungen nicht entspricht (Urteil BGer 4A_82/2008 vom 29. April 2009 E. 6.1). Erfolgt die Mängelrüge zu spät oder ist sie inhaltlich zu unbestimmt, sind die Gewährleistungsrechte verwirkt. Wer im Rechtsöffnungsverfahren einwendet, die Gegenleistung des Gläubigers sei mangelhaft, hat daher auch zu behaupten, dass und wann er die Mängel angezeigt hat (vgl. DANIEL STAEHELIN, in: STAEHELIN/BAUER/STAEHELIN [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, a.a.O., N 104 zu Art. 82 SchKG).
Aus den Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Vernehmlassung ergibt sich zwar implizit, dass er sich über die fehlerhafte Funktionsweise des Programmes beschwert habe („nach unzähligen Telefonaten“), indes lassen sich daraus weder der genaue Inhalt noch der genaue Zeitpunkt dieser Mängelrüge ableiten. Daher lässt sich entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers nicht beurteilen, ob die Mängelrüge rechtzeitig erfolgte und ob sie sämtliche der in der Vernehmlassung genannten Fehler erfasste. Der Beschwerdeführer schildert einzig Kontakte über die „Listen“. Die Berechtigung zur Ausübung der Gewährleistungsrechte ist somit nicht substanziiert dargelegt.
9. Zur Auflösung des Vertrages (Wandelung) und damit zur Zurückbehaltung des vereinbarten Preises ist der Empfänger der Leistung nur bei schweren Mängeln befugt. Sind die Mängel minder erheblich, so kann der Schuldner nur einen Abzug vom Kaufpreis bzw. Werklohn (Minderung) machen oder – im Falle eines Werkvertrages – die Nachbesserung verlangen (Art. 205 Abs. 2, Art. 368 Abs. 2 OR). Die vom Beschwerdeführer in seiner Vernehmlassung genannten Mängel (Darstellung der erfassten Leistungen in Franken statt in Taxpunkten, „am Anfang“ fehlende Möglichkeit, ein Tagesjournal auszudrucken) erscheinen jedenfalls ohne nähere Ausführungen nicht als derart erheblich, dass sich eine Wandelung rechtfertigen würde. Demnach hat der Beschwerdeführer auch nicht substanziiert dargelegt, dass er zur Wandelung und damit zur Zurückbehaltung des Entgelts berechtigt ist. Da Ausführungen zu Art, Funktionsweise und Komponenten der gelieferten Ware fehlen, ist es darüber hinaus auch nicht möglich, einen allfälligen Minderwert zu bestimmen.
10. Im Ergebnis ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, Einwendungen substanziiert zu behaupten, welche die Schuldanerkennung entkräften. Seine Beschwerde ist daher abzuweisen. Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob die Basler Rechtsöffnungspraxis im Bereich der nichtgehörigen Erfüllung zu präzisieren ist.
[…]

Hinweis: Der Entscheid ist rechtskräftig.

Quelle: http://www.zsg-entscheide.apps.be.ch/tribunapublikation/