Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 28. August 2002

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Nicht amtliche Leitsätze: Verträge mit unterschiedlichen Lieferanten als einheitliche oder getrennte Verträge (E. A.5)? Auf einen Vertrag, gemäss dem Hardware, Betriebs-Software und die Anwender-Software MS-Office zu liefern und diese sowie die von der Beklagten von dritter Seite bezogene Anwender-Software zu installieren ist, ist kaufvertragliche Gewährleistungsrecht analog anzuwenden (C.1). Anforderungen an Mängelrüge (C.2.2). Auslegung des Vertrages und des Abnahmedokuments bezüglich Verzicht auf Garantieleistungen (C.2.3.1). Lieferung aller Passwörter und der Handbüchern als Hauptlieferpflicht. Nichtlieferung von Handbüchern ist nicht als Sachmangel, sondern als teilweise Nichterfüllung zu betrachten (C.3.1 und 3.2.1). Die Parteien sind frei im Vertrag zu bestimmen, welche Mängel als wesentliche Mängel gelten sollen (C.4).

Bemerkungen: Diesem Verfahren lag der im Wortlaut gleiche Vertrag zugrunde wie im Urteil des Urteil des Handelsgerichts Zürich vom 12. Januar 2000. Während die Klägerin die Hardware, die Systemsoftware und MS-Office liefern musste, wurde die für den Betrieb der Beklagten notwendige Anwendersoftware von einer Drittpartei gemäss einem separaten Vertrag lizenziert und von der Klägerin nur installiert.

(…)
3. Dem zu beurteilenden Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit „Contratto d’Acquisto“ vom 30. Mai/18. Juni 1997 verpflichtete sich die Klägerin, der Beklagten die Hardware, die Systemsoftware und die Anwender-Software MS-Office für das X Center zu liefern, diese sowie die von der Beklagten von dritter Seite zu beziehende übrige Anwender-Software zu installieren und die unter dem Titel „Servizi fornati dalla ….“ aufgelisteten Dienstleistungen zu erbringen. Die Beklagte verpflichtete sich demgegenüber zur Bezahlung von ….
Nachdem die Klägerin die ihr obliegenden Leistungen am 25. September 1998 erbracht hatte, stellte sie der Beklagten am 14. November 1998 Rechnung über ITL 138’712’187.(…)

A. Vorbemerkungen
Zum besseren Verständnis nachfolgender Erwägungen drängen sich folgende Vorbemerkungen auf:
1. In der Computerwelt hat sich die grundsätzliche Unterscheidung der Computer-Elemente in Hardware und Software eingebürgert. Unter „Hardware“ versteht man alle mit der Hand greifbaren Maschinenteile eines Computers inklusive der festen Verdrahtungen. Mit „Software“ bezeichnet man die Programme eines Computers. Software kann in System- bzw. Betriebs-Software und in Anwender-Software unterschieden werden: System-Software wird z.B. für die Bereiche Betriebssysteme, Compiler, Dienstprogrammen, Datenkommunikationssysteme, Datenbanksysteme verwendet, während Anwender-Software für die Bereiche Rechnungswesen, Produktionsplanung und -steuerung, Personalwesen, Materialwirtschaft etc. eingesetzt wird (ZK-Bühler, Art. 363 OR N 182).

2. Ein Computer-Erwerbsvertrag umfasst regelmässig etwa folgende entgeltliche Leistungskombination: Hardwarelieferung inklusive Installation und Durchführung von Funktionstests, Überlassung von Programmen zum Gebrauch, Ausbildung von Personal, Dienstleistungen inklusive Erstellung von Programmen oder Programmteilen; regelmässig kommt die Wartung der Computeranlage hinzu. Dieses „Bündel“ von Leistungen bildet eine Einheit. Es handelt sich somit um einen einheitlichen Innominatvertrag, der Elemente des Werklieferungsvertrags, des Auftrags, des Know-how-Vertrags sowie des Unterrichtsvertrags bzw. solche des Kaufs, des Auftrags und des Lizenzvertrags enthalten kann (ZK-Bühler, Art. 363 OR N 185).(…)

5. ( …)
Bezieht der Anwender die Hard- und Software von unterschiedlichen Lieferanten, liegen getrennte Verträge über die jeweiligen Einzelkomponenten vor, so dass eine Wechselwirkung zwischen den einzelnen Vertragsverhältnissen grundsätzlich ausscheidet. Problematisch ist das Fehlen jeglicher Wechselwirkung in den Fällen, in denen nicht der Anwender auf eigene Initiative hin gezielt bei verschiedenen Lieferanten Verträge abschliesst, sondern er ein Komplettsystem sucht, das ihm durch ein gewisses Zusammenwirken der verschiedenen Lieferanten geliefert werden soll (Marly, Softwareüberlassungsverträge, 2.A., München 1997, N 274 f.).
Der Beklagten ist nun insofern zuzustimmen, als die vorliegende Vertragssituation aus hier nicht näher zu erläuternden Gründen tatsächlich auf ein einheitliches Vertragsverhältnis hindeutet.
Die Frage des Vorliegens einer rechtlichen Einheit bei Verträgen über Bestandteile einer EDV-Anlage mit mehreren Lieferanten interessiert nun im Hinblick darauf, ob die Anwenderin etwa bei fehlerhafter Anwender-Software auch vom mit einem anderen Lieferanten abgeschlossenen Vertrag betreffend die Hardware zurücktreten bzw. auch bezüglich der Hardware Wandelung erklären kann.
Die Prozessparteien haben im vorliegenden Fall vertraglich ausdrücklich vereinbart, dass die Beklagte die Anwender-Software beim Lizenzgeber kauft und die Klägerin diese vorbereitet und installiert, die Funktionsfähigkeit der Anwender-Software aber nicht Bestandteile des Abnahmetests seien und sich die Verantwortung der Klägerin auf den Boot-Vorgang (Hochfahren) beschränke bzw. die Klägerin nicht verantwortlich sei für Mängel der Anwender-Software und für diese keine Garantie biete. Damit wird nun aber eine allenfalls bestehende Wechselwirkung zwischen den Vertragsverhältnissen Klägerin/Beklagte und Lieferantin der Anwender-Software/Beklagte durch vertragliche Regelung unterbrochen und entsprechend der Beklagten die Wandelung gestützt auf Mängel der Anwender-Software der Klägerin gegenüber verunmöglicht.
Dass die Herstellung eines funktionsfähigen Systems zum Leistungsinhalt des zwischen den Parteien am 30. Mai/18. Juni 1998 abgeschlossenen Vertrags gehört, vermochte die Beklagte somit nicht überzeugend darzutun.
(…)

C. Sachgewährleistung
(…)
1. Anwendbare Gesetzesbestimmungen
Hier stellt sich zunächst die Frage der auf den vorliegenden Vertrag anwendbaren Gesetzesbestimmungen:
Der Vertrag über die Lieferung und Installierung eines aus Hard- und Software bestehenden EDV-Systems kann verschiedenartig ausgestaltet sein, weshalb seine rechtliche Behandlung nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist (BGE 124 III 459). Umfassen die Leistungen des Anbieters weder die Projektierung des Gesamtsystems noch die Entwicklung der Applikationen bzw. die Herstellung einer Individualsoftware für den konkreten Besteller, darf dabei nach Rechtsprechung des Bundesgerichts die von Teilen der Lehre befürwortete Prädominanz des Werkvertragsrecht nicht unbesehen angenommen werden (BGE 124 III 456). Wo in derart gelagerten Fällen das Verhältnis zwischen den Parteien demjenigen zwischen Käufer und Verkäufer ähnelt, d.h. einem einmaligen Austauschverhältnis näherkommt als einem Dauerschuldverhältnis, drängt sich nach dem Bundesgericht die Anwendung der kaufrechtlichen Normen auf (BGE 124 III 459).
In casu hat sich die Klägerin der Beklagten gegenüber im Wesentlichen dazu verpflichtet, ihr die Komponenten Hardware, Betriebs-Software und Anwender-Software MS-Office zu liefern und diese sowie die von der Beklagten von dritter Seite bezogene Anwender-Software zu installieren. Nicht Vertragsgegenstand war das Herstellen einer individuellen Software. Das Gesamtsystem sodann wurde durch C bzw. D projektiert. Die Parteien selber haben den zwischen ihnen abgeschlossenen Vertrag „Contratto d’Acquisto“ – Kaufvertrag – genannt. (…) Da die Klägerin des Weitern der Beklagten nach der vertraglichen Regelung die fraglichen Leistungen im Gegenzug zu einer einmaligen Geldzahlung zu überlassen hatte, rechtfertigt sich hier insgesamt die analoge Anwendung des kaufvertraglichen Gewährleistungsrechts (vgl. ähnlich BGE 124 III 459 f.).
Der Beklagten steht demnach bei gegebenen Voraussetzungen sowie unter Berücksichtigung der vertraglichen Regelung unter Ziff. 7 des Vertrags ein Recht auf Wandelung oder Minderung nach den Regeln des Kaufsrechts und – da vertraglich vereinbart – ein Nachbesserungsrecht zu (vgl. dazu BGE 124 III 460).

2. Mängelrüge
(…)
2.2 (…)
Eine Mängelrüge muss inhaltlich sachgerecht substanziert sein (BGE 107 II 175; Keller/Siehr, a.a.O., S. 85). So ist anzugeben, welche konkreten Eigenschaften eines Informatiksystems beanstandet und als nicht vertragskonform bezeichnet werden; sie sind so genau wie möglich zu beschreiben, zu spezifizieren. Obschon vom Anwender nicht verlangt werden kann, dass er die Mängel fachlich richtig bezeichnet, noch dass er sie dem entsprechenden Ursachenbereich zuordnet, hat er demnach das Erscheinungsbild des Mangels bzw. die eingetretene Störung (unrichtiges Verarbeitungsresultat, Datenzerstörung, Systemabsturz, usw.) so ausführlich wie möglich zu beschreiben (Widmer, Risikoverteilung bei Informatik­projekten: Haftung für Softwaremängel bei Planung und Realisierung von Informationssystemen, Diss., Zürich 1990, S. 160).
2.3 Die Klägerin beruft sich darauf, aus Ziff. 7.1 des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrags ergebe sich, dass die Beklagte ihre (der Klägerin) Leistungen mit Unterzeichnung des keine offenen Punkte oder Mängel enthaltenden System Readiness Document/Problem Reporting am 25. September 1998 mit Ausnahme von versteckten Mängeln abgenommen und im Sinne von Art. 370 Abs. 1 bzw. Art. 201 Abs. 1 und 2 OR genehmigt habe. Sodann lasse auch die produktive, monatelange Nutzung der gelieferten Systemkomponenten durch die Beklagte auf die Abnahme und Genehmigung schliessen.
2.3.1 Die Verwirkung der Mängelrechte kann nicht nur durch die Verletzung der Prüfungs- und Anzeigepflicht, sondern auch durch eine Erklärung des Käufers, die abgelieferte Sache als mängelfrei gelten zu lassen, eintreten.
Ob der Käufer eine derartige Erklärung abgegeben hat, ist durch Auslegung nach dem Vertrauensprinzip zu ermitteln. Dabei ist die Genehmigung klar von der Abnahme, die das Gegenstück zur Ablieferung durch den Verkäufer bildet, zu unterscheiden.
In der unter dem Titel „Garanzia e responsibilità“ stehenden Ziff. 11.1 leistet die Klägerin Garantie dafür, dass die dem vorliegenden Vertrag unterliegenden Systemkomponenten keine Mängel aufweisen („X garantisce al Cliente che i Componenti di Sistema rientranti nell’ambito del presente Contratto non presentano difetti“). Sie verpflichtet sich sodann in Ziff. 11.2 zur Behebung allfälliger Mängel der Systemkomponenten und zur Lieferung von Ersatzteilen auf Austauschbasis während der im Zeitpunkt der Abnahme beginnenden Garantiefrist von einem Jahr.
Ein Vorbehalt, nur für versteckte Mängel zu haften, ist in dieser allgemein gehaltenen Formulierung der Ziff. 11.1 und 11.2 nicht zu erblicken. Eine solche Beschränkung darf nach dem Vertrauensprinzip auch nicht aus der Wendung in Ziff. 11.2 Satz 2, wonach der Klient allfällige Mängel unmittelbar nach deren Auftreten schriftlich anzuzeigen hat, geschlossen werden, handelt es sich dabei doch lediglich um eine – nicht auf versteckte Mängel im Rechtssinne beschränkte – Rügemodalität.
In der von der Klägerin aufgegriffenen Ziff. 7.1 des Vertrags ist u.a. festgehalten: „Dopo il collaudo con esito positivo i Componenti di Sistema saranno considerati accettati e il Cliente dovrà firmare il Verbale die Accettazione“. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann dieser Klausel auch im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Formulars „System Readiness Acceptance Document/Problem Reporting“, in welchem direkt unterhalb der beklagtischen Unterschrift die Wendung „With the legal signature of the customer all contractual obligations of the Purchase Agreement are deemed accepted“ vorzufinden ist, nach Treu und Glauben kein Verzicht auf die vertraglichen Garantieleistungen gesehen werden: Zunächst scheint es sich bei dieser (auslegungsbedürftigen) Regelung eher um eine solche betreffend den bei Computeranlagen generell heiklen Zeitpunkt der Abnahme zu handeln (vgl. dazu insbesondere auch Junker/Bencke, Computerrecht, 2.A., Baden-Baden 2000, N 233). Es wäre sodann stossend, im Vertrag eine Garantiefrist zu vereinbaren, um dann im Formular über die Abnahme einen Garantieverzicht vorzusehen.
Die beklagtische Unterschrift auf dem Formular „System Readiness Acceptance Document/Problem Reporting“ ist mithin lediglich als Indiz dafür, dass die von der Klägerin geschuldeten Bestandteile der EDV-Anlage – wenn auch nicht unbedingt mängelfrei – abgeliefert worden sind, zu werten.
2.3.4 Zum Einwand der Klägerin, die Beklagten habe die Kaufsache dadurch, dass sie sie monatelang produktiv genutzt habe, abgenommen und genehmigt, ist festzuhalten, dass eine derartige Nutzung lediglich bei Versäumnis rechtzeitiger Prüfung und Mängelrüge Genehmigungswirkung haben kann und eine ausdrücklich ausgesprochene Mängelrüge gegen eine Billigung spricht. Vor dem Hintergrund der Schreiben etwa vom 19. Oktober 1998, vom 30. Januar 1999 und vom 22. Mai 1999 kann mithin nicht von einer Genehmigung der Kaufsache durch Nutzung ausgegangen werden.
(…)

3. Mängel der Kaufsache
3.1 ( …)
Wie bereits oben unter Erw. … festgehalten, gehört die Einräumung der vollen Nutzungsberechtigung und damit auch die Bekanntgabe des Systemadministratoren-Passworts zum Leistungsumfang des vorliegend interessierenden Vertrags. Solange die Klägerin das Passwort nicht geliefert hat, hat die Beklagte nicht alle ihr aus dem Vertrag zustehenden Nutzungsrechte eingeräumt erhalten, und ist ihr ein Anspruch auf restliche Erfüllung geblieben. Die Klägerin ihrerseits hat die ihr obliegende Hauptleistungspflicht noch nicht vollständig erfüllt.
Dementsprechend würde der Umstand, dass das Systemadministratoren-Passwort nicht bekanntgegeben wurde, entgegen der Auffassung der Beklagten keinen Sachmangel der verkauften Computeranlage darstellen, sondern wäre als teilweise Nichterfüllung des Kaufvertrags zu werten. Der Beklagten stünden mithin die Rechte des Käufers bei teilweiser Nichterfüllung des Kaufvertrags zu (Art.97 ff. OR).
Die teilweise Nichterfüllung einer Hauptleistungspflicht als Mangel zu werten, verbietet sich schon von der Rechtsfolgeseite her, ist doch die Mangelfreiheit nicht selbständig durchsetzbar, während eine Hauptleistungspflicht als primäre Erfüllungspflicht vom Käufer erzwungen werden kann.
Mit der Nennung des von ihr installierten Systemadministratoren-Passworts in der Replik ist die Klägerin inzwischen ihrer Pflicht zur entsprechenden Bekanntgabe nachgekommen und hat sie den Vertrag diesbezüglich erfüllt.
(…)
3.2.1 Die Lieferung von Handbüchern wird im Zusammenhang mit der Verkauf einer EDV-Anlage (auch ohne Erwähnung im Vertragstext) zu den Hauptlieferpflichten gezählt (Marly, a.a.O., N 790; Junker/Benecke, a.a.O., N 192; Widmer, a.a.O., S. 148). Nachdem nun im deutschen Schrifttum und zwischen verschiedenen deutschen Oberlandesgerichten zunächst Streit darüber bestand, ob die unterbliebene Lieferung eines Handbuchs als Mangel oder teilweise Nichterfüllung zu gelten habe, hat der BGH zwischenzeitlich in zwei Entscheidungen zu diesem Problemkreis die Frage im Sinne einer teilweisen Nichterfüllung beantwortet (BGH NJW 1993 461; BGH NJW 1993, 1063; Marly, a.a.O., N 790; Junker/Benecke, a.a.O., N 294; Widmer, a.a.O., S. 148 f.; ebenso Gauch, Der Werkvertrag, 4.A., Zürich 1996, N 93 und 336; a.M. BGE 124 III 462 unter Verweis auf Widmer, a.a.O., S. 149 f. Fussnote 191 sowie S. 151). Das Fehlen eines Handbuchs steht nach der Auffassung des BGH dem Fall des Fehlens von Einzelbestandteilen bei der Lieferung von Sachgesamtheiten gleich, bei dem ebenfalls die Vorschriften der teilweisen Nichterfüllung und nicht die Gewährleistungsvorschriften zur Anwendung gelangen. Der BGH hält sodann etwa fest, das Fehlen eines Handbuchs beeinträchtige die Gebrauchstauglichkeit der gelieferten Hard- und Software als solche tatsächlich nicht. Diese könnten, falls sie selbst mangelfrei seien, an sich dem Vertragszweck entsprechend eingesetzt werden. Das Handbuch stelle daneben mit dem in ihm verkörperten Nutzungswissen lediglich einen selbständigen „Funktionsteil“ dar, der den jeweiligen Käufer individuell in die Lage versetzen solle, die an sich auch ohnedies funktionsfähige Hard- oder Software umfassend zu nutzen (BGE NJW 1993 451).
Mit der deutschen Judikatur und wiederum im Hinblick auf die bereits im Zusammenhang mit der Bekanntgabe des Systemadministratoren-Passworts in (…) Rechtsfolgeseite ist die geltend gemachte Nichtlieferung von Handbüchern deshalb nicht als Sachmangel, sondern als teilweise Nichterfüllung zu betrachten.
(…)

4. Erheblichkeit der Mängel
Der Mangel einer Kaufsache muss sodann so erheblich sein, dass die Umstände es rechtfertigen, den Vertrag rückgängig zu machen, ansonsten statt Wandelung bloss Ersatz des Minderwerts zuzusprechen ist (Art. 205 Abs. 2 OR).
Die Wandelung ist z.B. dann gerechtfertigt, wenn der Vertragsgegenstand aufgrund des Mangels unbrauchbar ist, oder wenn die Reparaturkosten bzw. der Minderwert hoch sind und sich der Mangel dennoch nicht gänzlich beseitigen lässt (BGE 124 III 461).
Ist dem Käufer aber das Aufrechterhalten des Vertrages zumutbar, und sprechen die Interessen des Verkäufers gegen eine Rückabwicklung des Vertrages, ist bloss auf Minderung zu erkennen (BGE 124 III 461 f. m.H.).
Da das schweizerische Obligationenrecht auf dem Boden der Vertragsfreiheit steht und die Vorschriften über die Sachgewährleistung demgemäss dispositives Recht darstellen, sind die Vertragsparteien grundsätzlich frei, in ihrer vertraglichen von der gesetzlichen Regelung abzuweichen. Insbesondere können sie die Gewährspflicht inhaltlich beschränken.
In vorliegenden Fall haben die Parteien nun im Kaufvertrag vom 30. Mai/18. Juni 1998 als wesentliche Mängel diejenigen bezeichnet, welche die kritischen Systemkomponenten (Server, Hub und Router) betreffen, deren Eignung für den vorbestimmten Zweck ausschliessen oder nennenswert beeinträchtigen. Nur bei deren Vorliegen kann die Beklagte unter bestimmten Voraussetzungen den Vertrag nach schriftlicher Ankündigung auflösen.
(…)

E. Einrede des nicht erfüllten Vertrags
Schliesslich erhebt die Beklagte die Einrede des nicht erfüllten Vertrags gemäss Art. 82 OR und erklärt, solange die Klägerin nicht ihrerseits den Vertrag erfülle, sei sie (die Beklagte) berechtigt, die Bezahlung zu verweigern.
Art. 82 OR gibt dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht. Er kann seine Leistung so lange zurückhalten, bis die andere Partei entweder ihrerseits gehörig erfüllt hat oder die Erfüllung vertragsgemäss anbietet.
Beruft sich der Schuldner im Prozess auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrags und erscheint diese als begründet, so erfolgt keine Klageabweisung. Vielmehr wird er zur Leistung Zug um Zug gegen Empfang der Gegenleistung verurteilt (suspensivbedingtes Leistungsurteil; Schwenzer, Schweizerisches Obligationenrecht AT, Bern 1998, N 62.07; BGE 111 II 197 f.; ZK-Schraner, Art. 82 OR N 206 ff.; OR-Koller, Art. 184 OR N 99; Simmen, Die Einrede des nicht erfüllten Ver­trags, Bern 1981, S. 102 ff.; BK-Giger. Art. 184 OR N 189).
Da die von der Beklagten reklamierten Handbücher zufolge Ausgangs des Beweisverfahrens als noch nicht übergeben zu gelten haben, ist die Einrede des nicht erfüllten Vertrags zu hören.

F. Fazit
Der Vertrag ist nach dem Gesagten als zustande gekommen zu betrachten. Die von Seiten der Beklagten erhobene Einrede, sie könne infolge schwerwiegender Mängel der Kaufsache den Vertrag wandeln und müsse demgemäss den Kaufpreis nicht bezahlen, ist nicht zu hören.
Die Beklagte ist demgemäss zu verpflichten, der Klägerin Zug um Zug gegen Aushändigung eines Handbuchs Microsoft Office 97 und eines Handbuchs Microsoft Windows NT 4.0 Workstation sowie eines Handbuchs Microsoft Windows NT 4.0 Server den eingeklagten Kaufpreis zu bezahlen. Die zu bezahlende Summe beläuft sich dabei auf …. Da nach dem Gesagten zufolge Ausstehens der Handbücher die Ablieferung der Kaufsache noch nicht vollständig erfolgt ist, ist die Beklagte bisher mit der Kaufpreiszahlung nicht in Verzug geraten. Soweit die Klägerin von der Beklagten einen Verzugszins von 7% auf der Klagesumme verlangt, ist die Klage mithin abzuweisen.
(…)

Quelle: Urteil
www.softwarevertraege.ch