[…]
B.4 Beurteilung des Zusammenschlussvorhabens im Rahmen der vorläufigen Prüfung
47. Meldepflichtige Zusammenschlüsse unterliegen der vertieften Prüfung durch die Wettbewerbskommission, sofern sich in einer vorläufigen Prüfung (Art. 32 Abs. 1 KG) Anhaltspunkte ergeben, dass sie eine marktbeherrschende Stellung begründen oder verstärken (Art. 10 Abs. 1 KG).
48. Um zu beurteilen, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird, sind zunächst die relevanten Märkte abzugrenzen. In einem zweiten Schritt wird die Veränderung der Stellung der beteiligten Unternehmen auf diesen Märkten durch den Zusammenschluss beurteilt.
B.4.1 Relevante Märkte
49. Vorliegend werden nur diejenigen Märkte beschrieben, welche für das Zusammenschlussvorhaben von Relevanz sind. Publigroupe ist laut Meldung ausserhalb von xentive nicht im IT-Bereich tätig. Gemäss Angaben der Zusammenschlussparteien bestehen keine Überschneidungen der Aktivitäten von Publigroupe, xentive und Mediaspectrum, auch nicht ausserhalb des IT-Bereichs. Es rechtfertigt sich daher, nur diejenigen Märkte abzugrenzen, in welchen xentive und Mediaspectrum tätig sind.
50. […]
B.4.1.1 Sachlich relevante Märkte
51. Der sachliche Markt umfasst alle Waren oder Leistungen, die von der Marktgegenseite hinsichtlich ihrer Eigenschaften und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als substituierbar angesehen werden (Art. 11 Abs. 3 Bst. a VKU).
52. Xentive ist primär im Bereich IT-Services (B.4.1.1.1) und Mediaspectrum im Bereich der Software-Entwicklung (B.4.1.1.2) tätig. Folglich sind die sachlich relevanten Märkte in diesen beiden Bereichen abzugrenzen.
B.4.1.1.1. Sachlich relevante Märkte im Bereich IT-Services
53. Die WEKO hat erst kürzlich wieder darauf hingewiesen, dass sich die Einteilung der IT-Dienstleistungen in verschiedene Märkte als schwierig erweist, da sich die einzelnen Dienstleistungen teilweise überschneiden beziehungsweise ineinander übergehen.[FN 34: RPW 2013/2, 264, Rz 26, Swisscom IT Services AG/Entris Banking AG.]
54. In Anlehnung an die Praxis der EU und des „IT Services Market Definition Guide“ des Industrieanalysten Gartner Inc.[FN 35: Vgl. <http://www.gartner.com/technology/home.jsp> (16.9.2013).] hat die WEKO die IT-Dienstleistungen zumeist in folgende Teilmärkte unterteilt:[FN 36: RPW 2013/2, 264, Rz 27, Swisscom IT Services AG/Entris Banking AG; RPW 2011/3, 421, Rz 6, BSI AG/Avaloq Group AG; RPW 2009/2, 161, Rz 26 f., Hewlett-Packard Company/Electronic Data Systems Corporation; RPW 2003/2, 300, Rz 21 f., Accenture AG/Systor AG; RPW 2002/4, 632, Rz 15, IBM Deutschland GmbH/PWG Consulting AG.]
– Hardware Maintenance;
– Software Maintenance;
– Business Management Services (Outsourcing);
– Education and Training;
– Development and Integration Services;
– IT Management Services;
– Consulting.
55. Bisher offen gelassen wurde die Frage, ob zusätzlich noch eine branchenspezifische Segmentierung dieser Teilmärkte nach Garnter zu erfolgen hätte.[FN 37: Im Fall Swisscom AG/AGI IT Services AG (RPW 2001/4, 755, Rz 15 f.) wurde der IT-Dienstleistungs-Teilmarkt für Projektdienstleistungen in verschiedene branchenspezifische Segmente unterteilt. Dies, weil das Erbringen solcher Dienstleistungen ein hohes Know-how über die jeweilige Branche voraussetze. Dieser Entscheid erging allerdings noch bevor die WEKO 2002 begann, IT-Service-Teilmärkte in Anlehnung an die Praxis der EU und des „IT Services Market Definition Guide“ von Gartner zu unterteilen.] In einem kürzlich ergangen Entscheid wurde zwar erneut der Frage nachgegangen, ob betreffend gewisse Teilmärkte eine branchenspezifische Abgrenzung – in casu im Finanz-/Bankenbereich – angezeigt sei. Allerdings konnte auch im Rahmen des genannten Zusammenschlussvorhabens eine definitive Marktabgrenzung unterbleiben, da der Zusammenschluss unter keiner der möglichen Marktabgrenzungen Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken gab. Dies galt insbesondere auch dort, wo gemäss den Erwägungen der WEKO die Annahme des engst möglichen Marktes und damit einer branchenspezifischen Abgrenzung allenfalls sinnvoll erscheinen konnte.[FN 38: RPW 2013/2, 265, Rz 30, Swisscom IT Services AG/Entris Banking AG.] Die Europäische Kommission verwies diesbezüglich vor zwei Jahren im Fall Atos Origin/Siemens IT Solutions & Services[FN 39: Case COMP/M.6127, 25.03.2011, Atos Origin/Siemens IT Solutions & Services.] auf die Ergebnisse einer Marktuntersuchung, nach welchen eine weitere Segmentierung nicht angezeigt zu sein schien. Die Marktuntersuchung zeigte zudem auf, dass der IT-Dienstleistungsmarkt dynamischer Natur ist und eine gewisse angebotsseitige Austauschbarkeit der Dienstleistungen besteht, da die grossen IT-Service-Provider technisch in der Lage sind, ihre Dienstleistungen branchenübergreifend zu erbringen, und dies auch tun.[FN 40: „The respondents to the market investigation confirmed almost unanimously that the Gartner segmentation of the IT market is still relevant, […]. The market investigation also indicated that the majority of the respondents does not consider the further segmentation of the IT services markets based on customers‘ sector or the distinction between small and large customers as relevant. Finally, the market investigation confirmed that the market for IT services is a dynamic market with a degree of supply-side substitutability between the various IT services, as the main IT service providers are technically able to and do provide services to customers active across a large number of sectors.” (Case COMP/M.6127, 25.03.2011, Rz 16, Atos Origin/Siemens IT Solutions & Services).] Eine definitive Marktabgrenzung wurde in diesem Fall indes nicht vorgenommen, bzw. wurde offen gelassen.
56. Bezugnehmend auf die praxisgemässe Marktabgrenzung des IT-Services-Markts in die oben genannten Teilmärkte, sind die von xentive gegenwärtig angebotenen Outsourcing-Dienstleistungen dem Markt für Business Management Services (Outsourcing) und die zukünftig geplanten Integrator-Support-Dienstleistungen dem Markt für Development and Integration Services zuzuordnen. Auf die Frage, ob eine branchenspezifische Marktabgrenzung für diese beiden Teilmärkte vorliegend angezeigt ist, wird nachfolgend eingegangen (vgl. Rz 59 und 62).
Business Managment Services (Outsourcing)/Business Process Outsourcing (BPO)
57. Der Markt für Business Management Services bezieht sich auf das Outsourcing von Geschäftsprozessen wie Logistik, Beschaffung, Personal, Buchhaltung oder Customer Relationship Management an Dritte.[FN 41: RPW 2013/2, 267, Rz 40, Swisscom IT Services AG/Entris Banking AG; RPW 2003/2, 300, Rz 22, Accenture AG/Systor AG.] Die Zusammenschlussparteien verwenden dafür den Begriff Business process outsourcing (BPO).[FN 42: Vgl. Definition gemäss Gartner: “Business process outsourcing (BPO) is the delegation of one or more IT-intensive business processes to an external provider that, in turn, owns, administrates and manages the selected processes based on defined and measurable performance metrics. BPO offerings are categorized in two major categories: horizontal offerings (those that can be leveraged across specific industries) and vertical-specific offerings (those that demand specific industry vertical process knowledge).”, <http://www.gartner. com/itglossary/business-process-outsourcing-bpo> (13.9.2013).]
[…]
59. Die Frage, ob der Teilmarkt für Business Management Services/BPO-Dienstleistungen allenfalls branchenspezifisch abzugrenzen sei, wurde von der WEKO kürzlich erst – mangels wettbewerbsrechtlicher Bedenken bezüglich beider Hypothesen – offengelassen. Den Erwägungen ist jedoch zu entnehmen, dass Indizien dafür bestanden, dass BPO-Dienstleistungen branchenübergreifend angeboten werden und kein sektorspezifisches Know-how voraussetzen.[FN 43: RPW 2013/2, 267, Rz 40, Swisscom IT Services AG/Entris Banking AG.] Vorliegend machen die Zusammenschlussparteien denn auch geltend, dass die von xentive angebotenen BPO-Dienstleistungen aus technischer Sicht auch durch andere IT-Outsourcing-Anbieter wie z.B. Swisscom IT Services erbracht werden können. Ob der Markt für Business Management Services allerdings tatsächlich weiter zu unterteilen wäre, kann indessen offenbleiben, da das vorliegende Zusammenschlussvorhaben insoweit unter keiner der möglichen Marktabgrenzungen zu betroffenen Märkten im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Bst. d VKU führt (vgl. Tabelle 2 und Rz 77 f.).
Development and Integration Services
60. Der Markt für Development and Integration Services umfasst die Integration von bestehenden Systemen durch die Entwicklung und Implementierung entsprechender Software.[FN 44: RPW 2003/2, 300, Rz 22, Accenture AG/Systor AG.] Vereinfacht ausgedrückt integriert der Anbieter von Integrations-Dienstleistungen ein Softwareprodukt eines Herstellers in die IT-Landschaft seiner Kunden.[FN 45: Vgl. Definition gemäss Gartner: “Integration services are detailed design and implementation services that link application functionality (custom software or package software) and/or data with each other or with the established or planned IT infrastructure. Specific activities might include project planning, project management, detailed design or implementation of application programming interfaces, Web services, or middleware systems.”, <http://www.gartner.com/it-glossary/integra tion> (16.9.2013).] Die Aufgabe von Support-Dienstleistern für Integratoren besteht darin, die Integratoren in besonderen Punkten der Softwareintegration zu unterstützen. Diesbezüglich können Support-Dienstleister offenbar auf Inputs des Software-Entwicklers zurückgreifen.
61. […].
62. […] Unter der Voraussetzung, dass der Support-Dienstleister tatsächlich – wie von den Zusammenschlussparteien geltend gemacht – auf die Inputs/Hilfe des Software-Entwicklers (Support des Supporters) zurückgreifen kann, scheint eine branchenübergreifende Marktabgrenzung plausibel. Die genaue Marktabgrenzung kann indessen offenbleiben, da das vorliegende Zusammenschlussvorhaben insoweit unter keiner der möglichen Marktabgrenzungen zu betroffenen Märkten im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Bst. d VKU führt (vgl. Tabelle 2 und Rz 79).
B.4.1.1.2. Sachlich relevante Märkte im Bereich Software
63. […].
64. Die Europäische Kommission unterteilt den Markt für Unternehmenssoftware in Infrastruktursoftware und Unternehmensanwendungssoftware (EAS). Bei EAS handelt es sich um Softwareprogramme für einen bestimmten Aspekt der Planung, Durchführung oder Zusammenarbeit in einem Unternehmen, einer Behörde oder einer sonstigen Organisation. EAS-Software wird für Geschäftsvorgänge wie die Verwaltung der Unternehmensfinanzen, die Automatisierung des Vertriebs und des Marketing eines Unternehmens oder die Verwaltung der Ressourcen für Unternehmensprojekte eingesetzt.[FN 47: Case COMP/M.3216, 26.10.2004, Oracle/Peoplesoft, Rz 15 und 17; Case COMP/M.5904, SAP/Sybase, Rz 18.] Der EAS-Markt kann weiter in die Segmente Enterprise Resource Planning (ERP), Customer Relationschip Management (CRM), Supplier Relationship Management (SRM), Supply Chain Management (SCM), Product Lifecycle Management (PLM) und Business Analytics (BA) unterteilt werden.[FN 48: Case COMP/M.4944, 21.11.2007, SAP/Business Objects, Rz 7, Case COMP/M.5904, 20.7.2010, SAP/Sybase, Rz 21.]
65. CRM (Management der Kundenbeziehungen) umfasst Anwendungen, die die Geschäftsfunktionen auf der Kundenseite automatisieren (also Vertrieb, Marketing, Kundendienst und Unterstützung, Call-Center und sämtliche Prozesse der Vertriebsautomatisierung: Bestellungsbearbeitung, Kontaktmanagement, Informationsweitergabe, Bestandsüberwachung und -kontrolle, Verfolgung der Bestellungen, Verkaufsprognosen und -analysen usw.). SCM (Lieferkettenmanagement) umfasst Anwendungen zur Automatisierung der Planung, Herstellung und Lieferung einer Ware oder eines Dienstes (also Lieferplanung, Herstellung, Ausführung der Bestellung, Verteilung und Logistik, Akquisition und Beschaffung).[FN 49: Case COMP/M.3216, 26.10.2004, Oracle/Peoplesoft, Rz 18.]
67. Ob die Software von Mediaspectrum einem EAS-Markt oder den Teilmärkten CRM und SCM zuzuordnen ist, kann vorliegend offen gelassen werden, weil das Zusammenschlussvorhaben unter keiner der Hypothesen zu betroffenen Märkten im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Bst. d VKU führt. Aus den gleichen Gründen kann ebenfalls die Frage offen gelassen werden, ob ein branchenspezifischer EAS- Markt abgegrenzt werden sollte (vgl. Tabelle 2 und Rz 82 f.) . Dazu bleibt anzumerken, dass auch eine Marktbefragung der Europäischen Kommission keine schlüssigen Ergebnisse in dieser Frage zu Tage förderte.[FN 50: Case COMP/M.5904, 20.7.2010, SAP/Sybase, Rz 28.]
B.4.1.2 Räumlich relevante Märkte
68. Der räumliche Markt umfasst das Gebiet, in welchem die Marktgegenseite die den sachlichen Markt umfassenden Waren oder Leistungen nachfragt oder anbietet (Art. 11 Abs. 3 Bst. b VKU).
B.4.1.2.1. Räumlich relevante Märkte im Bereich IT-Services
69. Im Bereich IT-Services ist die WEKO ursprünglich von nationalen Märkten ausgegangen.[FN 51: RPW 2001/4, 757 f., Swisscom/AGI IT Services; RPW 2002/4, 633 Rz 21 f., IBM Deutschland GmbH, Berlin et PwC Consulting AG, Zurich.] In späteren Fällen hielt die WEKO fest, dass aufgrund des nachfrageseitigen Verhaltens der räumlich relevante Markt unter Umständen auch weiter abgegrenzt werden könnte. Die definitive Marktabgrenzung wurde jedoch jeweils offen gelassen.[FN 52: RPW 2003/2, 301 Rz 25, Accenture AG/Systor AG; RPW 2009/2, 162 Rz 47 f., Hewlett-Packard Company/Electronic Data Systems Corporation; RPW 2013/2, 268, Rz 48, Swisscom IT Services AG/Entris Banking AG.]
70. […]
71. Auch im vorliegenden Fall kann die Frage der definitiven räumlichen Marktabgrenzung von IT-Services offen gelassen werden, da das Zusammenschlussvorhaben selbst bei einer nationalen Marktabgrenzung zu keinen betroffenen Märkten im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Bst. D VKU führt.
B.4.1.2.2. Räumlich relevante Märkte im Bereich Software
72. Die WEKO hat bis anhin keine räumlich relevanten Märkte für EAS oder deren Unterkategorien CRM- oder SCM Software abgegrenzt. Die Europäische Kommission zog für EAS bislang eine EWR-weite, wenn nicht weltweite Marktabgrenzung in Betracht, liess die definitive Marktabgrenzung jedoch offen, da die zu prüfenden Zusammenschlussvorhaben auch bei einer engst möglichen Marktabgrenzung (EWR) keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken hervorriefen.[FN 53: Case COMP/M.4944, 21.11.2007, SAP/Business Objects, Rz 17 f.; Case COMP/M.5904, 20.7.2010, SAP/Sybase, Rz 29 f.]
73. […].
74. Auch im vorliegenden Fall kann die Frage der definitiven räumlichen Marktabgrenzung von EAS offen gelassen werden, da das Zusammenschlussvorhaben selbst bei einer nationalen Marktabgrenzung zu keinen betroffenen Märkten im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Bst. d VKU führt (vgl. Tabelle 2 und Rz 84).
B.4.2 Voraussichtliche Stellung in den betroffenen Märkten
75. Es werden nur diejenigen sachlichen und räumlichen Märkte einer eingehenden Analyse unterzogen, in welchen der gemeinsame Marktanteil in der Schweiz von zwei oder mehr der beteiligten Unternehmen 20 % oder mehr beträgt oder der Marktanteil in der Schweiz von einem der beteiligten Unternehmen 30 % oder mehr beträgt (vgl. Art. 11 Abs. 1 Bst. d VKU, diese Märkte werden hier als „vom Zusammenschluss betroffene Märkte“ bezeichnet). Wo diese Schwellen nicht erreicht werden, kann von der Unbedenklichkeit des Zusammenschlusses ausgegangen werden. In der Regel erübrigt sich dann eine nähere Prüfung.
B.4.2.1 Marktanteile
76. Die geschätzten Marktanteile der Zusammenschlussparteien in den oben abgegrenzten Märkten sind in nachfolgender Tabelle aufgeführt. Wie daraus ersichtlich ist, führt das Zusammenschlussvorhaben auch bei den engst möglichen – insbesondere bei hypothetisch medienspezifischen – Marktabgrenzungen zu keinen betroffenen Märkten.
[…]
Quelle: RPW 2013/4, S. 62 ff.
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